Stromkunden bezahlen Kohle-Stilllegung

Bundesregierung will einige Braunkohlekraftwerke ab 2017 abschalten. Mehr Erdkabel statt Überlandleitungen

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Von Hannes Koch

02. Jul. 2015 –

Damit Deutschland seinen Ausstoß klimaschädlicher Gase reduziert, sollen in den kommenden Jahren mehrere Braunkohlekraftwerke stillgelegt werden. Darauf hat sich die große Koalition in der Nacht zum Donnerstag geeinigt. Die Kosten in der Größenordnung von 2,5 Milliarden Euro jährlich werden nicht die Energieunternehmen, sondern in erster Linie die Stromkunden und die öffentlichen Haushalte tragen. Unsere Zeitung analysiert die wichtigsten Punkte des Kompromisses.

 

Braunkohlekraftwerke

In einem Vertrag will die Regierung erreichen, dass Vattenfall und RWE ab 2017 mehrere Blöcke ihrer großen Braunkohlekraftwerke abschalten. Welche Anlagen in Frage kommen – beispielsweise Blöcke von Niederaußem in Nordrhein-Westfalen oder Jänschwalde in Brandenburg – ist Verhandlungssache. Die Kapazität der Stromerzeugung mittels der besonders klimaschädlichen Braunkohle sinkt damit um etwa 13 Prozent (2.700 Megawatt). Die Braunkohleblöcke sollen dann für einige Jahre als Notfallreserve zur Verfügung stehen, falls Wind- und Sonnenkraftwerke nicht genug Energie liefern. Ab 2021 ist die endgültige Stilllegung der alten Anlagen geplant. Dafür erhalten die Energiekonzerne etwa 230 Millionen Euro pro Jahr.

Eine andere Lösung, um die Braunkohle-Abgase zu verringern, hat die Regierung verworfen. Ursprünglich schlug Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vor, Braunkohlestrom durch eine Zusatzgabe zu verteuern. Doch die Gewerkschaft IG BCE, Wirtschaftsverbände, sowie die Landesregierungen von NRW, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt protestierten. Anstatt Geld zu bezahlen, bekommen die Energiefirmen nun hunderte Millionen, die die Stromkunden als Umlage auf ihren Strompreis aufbringen.

 

Stromleitungen

Mit Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) haben sich Gabriel und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) auf einen Kompromiss geeinigt. Bei den geplanten Nord-Süd-Stromleitungen will man mehr Erdkabel verlegen, auf die örtliche Bevölkerung Rücksicht nehmen und vorhandene Trassen nutzen. Die neue Süd-Ost-Strecke könnte als schonendere Variante bei Landshut enden. Weil Seehofer will, dass Bayern entlastet wird, könnte eine Verbindung im Rahmen der Südlink-Trasse zwischen Grafenrheinfeld in Bayern und Großgartach bei Heilbronn in Baden-Württemberg entfallen. Als Ersatz müssten aber Strecken in Hessen und Baden-Württemberg stärker ausgebaut werden. Weil Erdkabel doppelt so teuer sind wie Hochspannungsleitungen, ist auch diese Lösung mit höheren Kosten für die Stromverbraucher verbunden. Hinzu kommen Investitionen für angeblich nötige zusätzliche Gas-Reservekraftwerke in Bayern. Dieses Geld wird ebenfalls umgelegt.

 

Weniger Kohlendioxid

Um das deutsche Ziel einzuhalten, den CO2-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu vermindern, muss der Stromsektor noch 22 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich pro Jahr einsparen. Die Braunkohle soll davon bis 12,5 Millionen Tonnen erbringen. Die Umrüstung auf effiziente Anlagen mit Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) schlägt mit einer Reduzierung von vier Millionen Tonnen zu Buche. Zusätzliche Förderung für Energiesparen in Privathäusern, Fabriken und Kommunen wird mit einem Minus von 5,5 Millionen Tonnen berechnet.

 

Die Kosten und der Strompreis

Die zusätzlichen Kosten zulasten der Stromkunden für die Stilllegung der Braunkohleanlagen, Erdkabel, Gaskraftwerke in Bayern und die KWK bewegen sich in der Größenordnung von einer Milliarde Euro pro Jahr. Dies könnte den Strompreis in den kommenden Jahren um ungefähr 0,3 Cent pro Kilowattstunde steigen lassen. Wie stark die Zunahme unter dem Strich ausfällt, lässt sich aber schwer errechnen – unter anderem ist der Großhandelspreis der Zukunft heute nicht bekannt. Auf die öffentlichen Haushalte kommen durch höhere die Förderung für Energiesparen und KWK etwa 1,5 Milliarden Euro jährlich zu.

 

Strommarkt der Zukunft

Hier hat sich die Regierung geeinigt, kein zusätzliches Marktsegment für Reservekraftwerke zu schaffen. Diese Lösung des sogenannten Kapazitätsmarktes sei zu teuer. Die Energieversorger sollen verpflichtet werden, jederzeit genug Elektrizität anzubieten.

 

Atomkraftwerke

Eigentlich müssen die vier deutschen Atomfirmen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW Milliarden Euro ansparen, um die Kernkraftwerke nach 2022 abzubauen und den Müll zu lagern. Ob sie über die nötigen Summen verfügen, wird allerdings bezweifelt. Noch ist sich die Regierung nicht im Klaren, was sie tun kann, um die Rückstellungen der Unternehmen für die Zukunft zu sichern. Ein Stresstest und eine neue Kommission sollen zur Klärung beitragen.

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