Stunden der Wahrheit für VW

Die USA nehmen Unternehmen hart ran. In Deutschland fehlen Justiz und Behörden wichtige Waffen gegen Betrügereien. Verbraucherminister wollen nun Musterklagen ermöglichen.

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Von Wolfgang Mulke

20. Apr. 2016 –

 

Was kommt heute auf VW zu?

 

Am heutigen Donnerstag endet die Frist, in der sich der Konzern mit den US-Behörden über das weitere Vorgehen und über Strafzahlungen sowie den klagenden Autobesitzern und -händlern einigen sollte. Alle Fäden laufen bei Richter Charles Breyer zusammen, auch wenn Behörden oder Privatleute aus verschiedenen Bundesstaaten gegen das Unternehmen geklagt haben. Gibt es bis zum Ablauf des bereits einmal verlängerten Ultimatums keine Einigung, wird Breyer wohl einen Prozess anstrengen.

 

Welche Szenarien sind möglich?

 

Ohne Einigung kann Richter Breyer VW dazu verdonnern, die rund 600.000 Fahrzeuge mit der Schummelsoftware aus dem Verkehr zu ziehen. Auch sind Strafen für jeden Tag denkbar, an dem die Dieselautos noch zu viele Schadstoffe ausstoßen. Wahrscheinlicher ist, dass VW sind mit den verschiedenen Behörden auf die Höhe von Strafzahlungen geeinigt hat und einen klaren Weg für die Nachrüstung der Fahrzeuge vorlegen kann. Damit wäre finanziell betrachtet der größte Teil der Risiken bezifferbar.

 

Warum ist in den USA ein so forsches Vorgehen gegen ein Unternehmen möglich?

 

Das Unternehmens- und Haftungsrecht in den USA funktioniert anders als das deutsche. „Einer der Unterschiede zwischen deutscher und amerikanischer Produkthaftung ist die im US-Gesetz verankerte Idee von der Erziehung von Marktteilnehmern durch Zahlung einer zivilrechtlichen Strafe“, sagt Carl-Christian Thier von der deutsch-amerikanische Anwaltskanzlei Urban, Thier und Federer. Für besonders rücksichtsloses und schädigendes Verhalten könne die Strafe daher weitaus höher liegen als der Schaden. „Im schlimmsten Fall muss der Konzern mit Zahlungsverpflichtungen im zweistelligen Milliardenbereich rechen“, erläutert Thier.

 

Wer klagt weshalb gegen VW?

 

Da sind zunächst die Behörden, allen voran die US-Umweltbehörde EPA, das Justiz- und das Handelsministerium. Zudem gibt es Sammelklagen von Händlern, Autobesitzern und Aktionären. Als Zeichen guten Willens hat VW den betroffenen Fahrzeugbesitzern schon bis zu 1.000 Dollar zugesagt. Das wird kaum reichen. Auch strafrechtlich wäre ein Vorgehen der Justiz gegeb VW möglich. Im Gegensatz zu Deutschland können jenseits des Atlantiks sowohl einzelne Manager als auch Unternehmen als Ganzes bestraft werden. „Dies führt dazu, dass das Unternehmen in den USA ein erhöhtes Interesse am Wohlverhalten der Angestellten und Manager hat“, erläutert Thier.

 

Sind deutsche VW-Kunden schlechter dran?

 

Nach Ansicht des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (vzbv) ist dies der Fall. „Man hört von VW gar nichts mehr“, kritisiert vzbv-Expertin Marion Jungbluth. Die Besitzer der betroffenen Fahrzeuge würden schlecht darüber informiert, wann beispielsweise die Fahrzeuge zwecks Reparatur zurück in die Werkstatt gerufen werden. In Deutschland will VW auch keine Entschädigungszahlungen wie in den USA leisten. Hohe Strafzahlungen wie dort drohen in Deutschland auch nicht. Schließlich sind zivilrechtliche Sammelklagen hierzulanden auch nicht möglich und Schäden müsste jeder Betroffene konkret nachweisen, was ausgesprochen schwierig ist.

 

Gibt es trotzdem Chancen auf Schadenersatz in Deutschland?

 

Zumindest viele Aktionäre hegen die Hoffnung auf einen Ausgleich ihrer Verluste. Auch große Investoren klagen beim Braunschweiger Landgericht den Ersatz ihres Schadens ein. Ihr Argument ist die zu späte Information durch den Konzern über die aus dem Skandal resultierenden Risiken. Für den normalen Autobesitzer sieht es nicht so gut aus. Es gibt Anwaltskanzleien und eine niederländische Stiftung, die viele Autobesitzer zusammenbringen wollen und so Druck auf VW ausüben möchten. Notfalls wollen die Kanzleien auch gegen den Konzern klagen.Im Erfolgsfall sind sie dann an Entschädigungsleistungen beteiligt.

 

Werden die Verbraucherrechte als Lehre des Skandals jetzt verbessert?

 

Die an diesem Freitag tagende Verbraucherministerkonferenz hat sich einen besseren Schutz der Kunden vorgenommen. So streben die Länder die Einführung einer Musterfeststellungsklage an. Mit diesem Instrument könnte beispielsweise der vzbv ein Musterverfahren anstrengen. Am dazu ergehenden Urteil können sich dann alle Betroffenen orientieren. Wird etwa der Anspruch auf Schadenersatz festgestellt, muss nicht mehr jeder einzelne Betroffene gesondert vor Gericht ziehen.

 

 

 

 

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