Tankstellenpreise im Supermarkt sind unwahrscheinlich

Die neuen digitalen Preisschilder im Handel bringen den Verbrauchern wohl eher Vor- als Nachteile

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Von Wolfgang Mulke

29. Jan. 2016 –

Große Handesketten ersetzen nach und nach das klassische Preisschild auf Papier oder Pappe durch digitale Preisanzeiger. Der Elektronikmarkt Saturn will beispielsweise alle Märkte damit ausstatten.

Damit schaffen sie die technischen Voraussetzungen für schnelle Preisschwankungen. Je nach dem, wie diese Technik eingesetzt wird, könnte der Konsum teurer oder günstiger werden. Denkbar ist beispielsweise, dass Bier und Knabberzeug in den Stunden vor einem großen Fußballspiel mehr kosten als üblich, weil es dafür nur eines Knopfdrucks in der Firmenzentrale bedarf. Umgekehrt ist ebenso vorstellbar, dass vielleicht ein bestimmtes TV-Gerät im Elektronikmarkt plötzlich viel günstiger angeboten wird, weil das Modell im Internet zum gleichen Preis erhältlich ist.

 

Verbraucherschützern bereitet die Aussicht auf flexible Preise Sorge. „Theoretisch kann dies zu einer hohen Fluktuation der Preise führen“, sagt Handelsexperte Miika Blinn vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Manche Kritiker warnen schon vor einer ähnlichen Entwicklung wie bei den Tankstellen, die ständig am Spritpreis drehen. Im schlimmsten Fall könnte die Blinn zufolgen zu einer systematischen Benachteiligung ganzer Kundengruppen führen. Das wäre etwa der Fall, wenn pünktlich zum Feierabendgeschäft, wenn Arbeitnehmer Lebensmittel kaufen, die Milch plötzlich zehn Cent mehr kosten würde. „Wir werden den Handel genau beobachten“, kündigt Blinn an.

 

Der Handel will die Bedenken zerstreuen. „Sie können nicht einem Kunden ein Produkt für 2,90 Euro verkaufen und dem nächsten dasselbe für 4,90 Euro“, sagt ein Sprecher des Einzelhandelsverbands (HDE), „das ist alltagsfern.“ Die Unternehmen seien auf Stammkunden angewiesen, die durch so eine Praxis schnell vergrault würden. Auch bei der Lebensmittelkette Rewe hält man die Angst vor Tankstellenverhältnissen für abwegig. Die Kunden würden solchen Supermärkten sofort und dauerhaft den Rücken zukehren, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Außerdem sieht Rewe rechtliche Probleme, weil ein Supermarkt keine Preissicherheit mehr gewährleisten könnte. Ein Beispiel verdeutlicht die Schwierigkeit. Ein Kunde packt sich eine Becher Sahne in den Einkaufskorb, der mit 69 Cent ausgezeichnet ist. Während er auf dem Weg zur Kasse ist, erhöht die Zentrale des Supermarkts den Preis um zehn Cent. „Das ist nicht rechtens“, stellt Rewe klar.

 

Die Furcht vor laufenden Preisänderungen erscheint zumindest im Lebensmittelhandel unbegründet. Die Branche hat dennoch einen wichtigen Grund für die Einführung der digitalen Preisschilder. Allein bei Lebensmitteln gibt es 120.000 verschiedene Produkte. Der Zeitaufwand, per Hand auf Papierschildern alle Preis anzubringen, ist enorm und damit teuer. Künftig kann dies einmal am PC per Mausklick für alle Filialen gleichzeitg erledigt werden. Diese Kosteneinsparung treibt den Einsatz der digitalen Systeme vor allem voran.

 

Auch Forscher und Preisexperten sehen derzeit keinen Grund zur Sorge. „Der Wettbewerb im Einzelhandel ist mit dem der Tankstellen nicht vergleichbar“, sagt Sebastian Deppe von der BBE Handelsberatung, einer auf die Branche spezialisierten Beratungsfirma. Den großen Unterschied macht demnach die Vergleichbarkeit von Qualität und Preisen im Handel aus. Mit dem Smartphone bewaffnet kann zum Beispiel jeder Konsument schnell feststellen, ob eine Waschmaschine oder ein Markenhemd in einem Onlineshop billiger zu haben ist. So erwarten manche Fachleute tendenziell eher einen Vorteil für die Kunden durch die Digitalisierung. Denn die Preistransparenz beflügelt den Wettbewerb.

 

So sieht es auch Tobias Maria Günter, der für die Preisberatungsfirma Simon-Kucher & Partners die Entwicklung der Branche verfolgt. Wechselpreise seien unwahrscheinlich, weil „der Händler ein klares Preisimage verliert“, glaubt Günter. Das koste Kunden und Umsatz. Außerdem würden Konkurrenten eine erfolgreiche Strategie kopieren. „In der Konsequenz bedeutet es, dass die flexible Preisanpassung dann kein Wettbewerbsvorteil ist, sondern einen Preiskampf auslösen kann“, erläutert der Experte. Diese Einschätzung teilt Cetin Acar, Forscher beim Kölner EHI Retail Institut. „Es gibt Preisanpassungen als Reaktion auf den Wettbewerb, doch immer nach unten“, stellt er fest.

 

Die Verbraucher haben ein großes Gegengewicht zur Marktmacht der großen Handelskonzerne. Der inzwischen nahezu überall mögliche Zugang zum Internet lässt aktuelle Preisvergleiche zu. Mit der Kenntnis der günstigsten Angebote kann der Kunde den Händler vor Ort unter einen gewissen Druck zu einem Preisnachlass setzen. Gerade der Internethändler Amazon bereitet dem herkömmlichen Geschäften Probleme. „Amazon verändert die Preise für manche Artikel mehrmals am Tag“, beobachtet Verbraucherschützer Blinn. Dabei sucht der US-Handelskonzern wohl selbst den Markt nach den jeweils aktuellen Preisen ab und reagiert dann darauf. Das erhöht den Wettbewerbsdruck weiter. Einseitige Preisstrategien zu Lasten der Kunden haben unter diesen Bedingungen keine Erfolgschance.

 

 

 

 

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