• Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU)

Tausende Widersprüche gegen Googles Foto-Show

Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU)

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Von Wolfgang Mulke

24. Mai. 2010 –

Seit Monaten legt sich Verbraucherministerin Ilse Aigner mit den Internetriesen an. Im Gespräch mit "den Korrespondenten" erklärt die 45-jährige CSU-Politikerin, warum sie so hartnäckig auf einen besseren Datenschutz pocht.

 

Frage: Frau Aigner, Sie legen sich mit den Internet-Riesen Google und
Facebook an. Was stört Sie an den Unternehmen?

 

Ilse Aigner: Google will 360-Grad-Bilder von Wohngebieten weltweit
abrufbar ins Internet stellen und vermarkten. Dafür werden fast alle Häuser und Grundstücke in den Städten und Gemeinden in Deutschland fotografiert. Doch viele Menschen wollen das Foto ihres Hauses oder ihrer Wohnung nicht öffentlich im Internet sehen. Deshalb haben wir eine Widerspruchsmöglichkeit durchgesetzt, von der Monat für Monat tausende Bürger Gebrauch machen. Den genauen Stand kennt zwar nur Google, doch ich gehe aktuell von einer deutlich fünfstelligen Zahl von Widersprüchen aus. Und jede Woche werden es mehr.

Frage: Startet der Dienst bald?

 

Aigner: Aufgrund der Welle von Widersprüchen vermute ich, dass der von Google Ende 2010 geplante Start des Projektes wohl verschoben werden muss. Google hat uns zugesichert, vor der Freischaltung von „Streetview“ alle Widersprüche umzusetzen und generell auf allen Bildern die Gesichter und KFZ-Kennzeichen unkenntlich zu machen – nach  Veröffentlichung auf Wunsch auch die ganze Person.

 

Frage: Google hat überdies gegen Datenschutzbestimmungen verstoßen. Wie ist der Stand der Dinge?

 

Aigner: Erst vor drei Wochen hatte ich ein Gespräch mit der Spitze von Google. Uns wurde ausdrücklich versichert, dass bei der Fototour durch Deutschland lediglich W-LAN Netze lokalisiert würden. Dann kam heraus: Das Unternehmen hat über unverschlüsselte Heimnetze auch persönliche Daten wie etwa Fragmente von E-Mails aufgefangen. Das ist ein klarer Verstoß gegen deutsches Recht. Google muss dem zuständigen Hamburger Datenschutzbeauftragten nun einen umfangreichen Fragenkatalog beantworten und Zugang zu den betreffenden Daten gewähren, bevor diese dann gelöscht werden. Google hat diese Woche angekündigt, vorerst keine Fotos mehr für den Kartendienst "Streetview" aufnehmen zu wollen. Außerdem hat Google sich öffentlich entschuldigt. Aber das reicht nicht aus. Der Konzern muss den Fall lückenlos aufklären und alle Karten auf den Tisch legen – das ist er den Internetnutzern in Deutschland schuldig.

 

Frage: Wozu stöbert Google eigentlich WLAN-Netze auf?

 

Aigner: Diese Technik ist nicht neu. Google kartografiert flächendeckend die WLAN-Netze, um vor allem in Großstädten die Position von internetfähigen Handys bestimmen zu können. Das erleichtert die Nutzung elektronischer Landkarten.

 

Frage: Was haben Sie gegen Facebook, das Millionen Deutsche gerne als Kontaktforum nutzen?


Aigner: Ich habe nichts gegen Facebook und nutze es selbst gerne. 
Eigentlich machen soziale Netzwerke großen Spaß, doch bei vielen Angeboten geht es mittlerweile nur noch um Kommerz . Anfangs war Facebook für die Mitglieder wie ein geschützter Raum, in dem man sich frei austauschen konnte. Nach und nach hat Facebook aber das Private aufgegeben und die Sicherheitseinstellungen gelockert. Immer mehr Daten werden über Dritte vernetzt und vermarktet. Wer seinen Namen und seine Bilder schützen will, muss eine Vielzahl von Einstellungen vornehmen. Das ist komplizierter als einen DVD-Player zu programmieren. Man braucht dazu fast einen Lehrgang. Stattdessen muss es umgekehrt laufen:  Die Standardeinstellung sollte die höchste Sicherheitsstufe aufweisen. Wer mehr von sich preisgeben möchte, kann dies anschließend für sich einstellen. Ein weiterer Kritikpunkt: Facebook leistet sich immer wieder ernste Daten-Pannen. Außerdem will Facebook generell Millionen Nutzerprofile an Dritte verkaufen, ohne sich die Erlaubnis dafür einzuholen. Über all diese Probleme werde ich mit den Chefs von Facebook in nächster Zeit sprechen.

 

Frage: Insbesondere aus der Internetgemeinde hagelte es anfangs Kritik an Ihnen. Gibt es jetzt mehr Verständnis?

 

Aigner: Seitdem ich die Diskussion angestoßen habe, bekomme ich viel
Zustimmung. Mein Ziel ist es, die Menschen zu sensibilisieren und eine
breite öffentliche Debatte zu führen über die Privatsphäre im Netz. Insbesondere junge Leute nutzen das Netz, ohne die Risiken zu kennen. Auch die Internet-Unternehmen müssen beim Daten- und Verbraucherschutz dringend besser werden, sonst laufen ihnen die Nutzer weg, die letztlich ihr Kapital sind. Das sehen die Firmen mittlerweile auch ein. Die Branche ist ziemlich zerknirscht.


Frage: Im Koalitionsvertrag wird eine Stärkung der Fahrgastrechte
versprochen. Die Fluggesellschaften sollen einer unabhängigen Schlichtungsstelle beitreten. Warum ist noch nichts geschehen?

 

Aigner: Es gibt in der Tat bei den Fluggesellschaften erhebliche
Versäumnisse. Viele Kunden müssen erst vor Gericht gehen, um Recht zu bekommen. In der letzten Woche gab der Bundesgerichtshof auch der Verbraucherzentrale Recht. Ryanair muss nun eine Klausel aufheben, nach der das Unternehmen bei Zahlung mit Kreditkarten eine Extragebühr verlangte, obwohl es keine alternative Zahlungsmöglichkeit gab. Diesen Sondereinnahmen ist jetzt ein Riegel vorgeschoben. Auch bei Flugausfällen wegen der Vulkanasche gab es Ärger. Eine Familie, die sich bei uns beschwerte, droht auf über 2000 Euro Kosten sitzenzubleiben, die durch die mehrfachen Umbuchungen für den Heimweg entstanden sind. Dabei ist die Rechtslage in den meisten Streitfällen klar. Die von uns angestoßene Schlichtungsstelle
öffentlicher Personenverkehr, die Ende 2009 ihre Arbeit aufgenommen hat, kann hier den Kunden außergerichtlich helfen, zu ihrem Recht zu kommen. Dazu ist aber die Beteiligung der Fluggesellschaften bei den
Schlichtungsverfahren notwendig. Daran hapert es bisher noch. Ich denke, wir müssen das jetzt gesetzlich verankern. Es reicht nicht, wenn die Passagierrechte nur auf dem Papier stehen.

 

Frage: Die Airlines fallen neben vielen anderen Unternehmen auch durch teure Telefonhotlines auf. Kunden werden regelmäßig in die kostenpflichtige Warteschleife geschickt. Wann gehen Sie gegen die Abzockerei vor?


Aigner: Eine Novelle des Telekommunikationsgesetzes wird gerade vorbereitet. Wir wollen, dass die Zeit in Warteschleifen künftig kostenlos ist. Für die Verbraucher wird es noch weitere Verbesserungen geben. Die Telefongesellschaften müssen dann auch Verträge anbieten, die nur zwölf Monate laufen. Geprüft werden auch ein Sonderkündigungsrecht für Internet-Nutzungsverträge, wenn Kunden umziehen, und eine Preisansagepflicht für bestimmte Call-By-Call-Tarife.

 

Frage: Viele Verbraucher fühlen sich auch von der Lebensmittelindustrie verschaukelt. Von falschem Käse bis hin zu aus Fleischstücken zusammengeklebten Schinken gaukeln die Unternehmen ihren Kunden falsche Tatsachen vor. Folgen Ihrer Ankündigung, mit dem Schwindel aufzuräumen, auch irgendwann Taten?


Aigner: Ich möchte, dass Lebensmittelimitate verpflichtend gekennzeichnet werden. Unser Vorschlag findet im Europäischen Parlament große Unterstützung. Jetzt muss die Kommission endlich tätig werden. Schon beim ersten Blick auf die Verpackung sollen Verbraucher Schummel-Käse und Schinken-Imitate erkennen können. Gleiches gilt für Formfleisch: Es muss klar drauf stehen, was drin ist.  Auch wenn die Gesundheit durch solche getrickste Produkte nicht gefährdet wird, sind sie vielen Menschen einfach zuwider – und sie werden auch nicht gebraucht. Ich denke, die traditionelle Lebensmittelherstellung ist einfach durch nichts zu ersetzen, und besser schmecken tut es meistens auch. Mich wundert, dass sich Traditionsbetriebe nicht gegen schwarze Schafe wehren, die sich hier finanzielle Vorteile erschleichen. Hier steht der Ruf einer ganzen Branche auf dem Spiel.


Frage: Der Bund will sparen, auch bei Ihnen. Müssen sich die Landwirte auf Kürzungen ihrer Sozialversorgung einstellen?

 

Aigner: Wir befinden uns in den laufenden Haushaltsverhandlungen und
müssen wie andere Ressorts ebenfalls Möglichkeiten für Einsparungen prüfen. Es führt nicht weiter, jetzt über Einzelmaßnahmen zu spekulieren. Es wird darauf ankommen, gemeinsam ein Gesamtpaket zu schnüren.


Frage: Sie sind Mitglied der Regierungskommission, die die Einführung der Kopfpauschale in der Krankenversicherung vorbereiten sollte. Nun hat der Gesundheitsminister ein Konzept erarbeitet, das der Kommission aber vorenthalten wird. Ist das nicht ein Affront?

 

Aigner: Ich rate hier zu mehr Gelassenheit. Die Regierungskommission hat Vorarbeiten geleistet und sich in den bisherigen Sitzungen vor allem mit Grundsatzfragen beschäftigt. Das Konzept des Gesundheitsministers wird nun zunächst innerhalb der Koalition von den Partei- und Fraktionsvorsitzenden erörtert. Ich werde mich da einbringen. Seien Sie versichert – die CSU wird ihre Handschrift deutlich machen.


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