• Protest gegen Räumung |Foto: B. Kietzmann
    Protest gegen Räumung |Foto: B. Kietzmann

Tod nach dem Verlust der Wohnung

In Berlin verstarb eine Frau, nachdem man ihre Wohnung zwangsgeräumt hatte. Protestbündnis will Gerichtsvollzieher aufhalten

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Von Hannes Koch

17. Apr. 2013 –

Das Leben der 67jährigen Frau endete zwei Tage nachdem sie ihre Wohnung verloren hatte. Die im Berliner Bezirk Reinickendorf lebende Schwerbehinderte war mit der Miete im Rückstand, der Hauseigentümer setzte per Gericht die Zwangsräumung durch. Rosemarie F. war gezwungen, in eine Obdachlosenunterkunft umzuziehen, wo sie zwei Tage später verstarb. Ihre Wohnung verlassen zu müssen, hat ihr wohl die Lebenskraft geraubt.


Dieses äußerst tragische Vorkommnis verschärft nun einen Konflikt, der die Hauptstadt zunehmend beschäftigt. Berlin ist attraktiv, zehntausende Neubürger suchen Wohnungen und zahlen auch rapide steigende Kauf- und Mietpreise. Viele Berliner mit geringen Einkommen geraten dadurch unter Druck. Bei Zwangsräumungen von Wohnungen werden die Gerichtsvollzieher deshalb mittlerweile regelmäßig von zahlreichen Protestierern empfangen. Auch bei der Räumung von Rosemarie F. in der vergangenen Woche versuchten rund 100 Leute den Hauseingang zu blockieren – ohne Erfolg.


Inzwischen gibt es ein politisches Bündnis „Zwangsräumung verhindern“. Etwa ein Dutzend Mal haben die Aktivisten sich in den vergangenen Monaten auf die Bürgersteige vor den betreffenden Häusern gesetzt. Neu ist, dass bei diesen Protesten junge Leute aus dem linken Milieu mit alteingesessenen türkischen Familien und örtlichen Gewerbetreibenden zusammenkommen, weil sie der gemeinsame Ärger über die steigenden Mieten eint. Mit großem Aufwand muss die Polizei den Gerichtsvollziehern jedesmal den Weg freiräumen. Manchmal gelingt es den Demonstranten, den geplanten Rauswurf der Mieter zu verhindern.


Am Kottbusser Tor in Kreuzberg, einem Zentrum des Szene-, Ausgeh- und Tourismus-Berlins ist das provisorische Protestzelt mittlerweile einem festen Holzhaus gewichen, in dem türkische Rentner und ihre Frauen eine permanente Mahnwache veranstalten. Sie befürchten, dass sie bald die Kosten ihrer Wohnungen in den Blocks aus den 1970er Jahren nicht mehr zahlen können, in die sie noch als Gastarbeiter einzogen.


Angesichts dieser aufgeheizten Debatte spielt nur eine untergeordnete Rolle, dass der Fall der verstorbenen Rosemarie F. so kompliziert ist wie das Leben. Die gehbehinderte Frau hatte Briefe nicht geöffnet und zu spät einen Anwalt eingeschaltet. Das Sozialamt des Bezirks Reinickendorf wollte ihre Mietschulden noch übernehmen, aber der Hauseigentümer lehnte das Angebot ab. Er sagt, Rosemarie F. habe die Nachbarn bedroht und das Treppenhaus beschmutzt.


In anderen Fällen ist tatsächlich eine Mietsteigerung der Auslöser des Konflikts. Beispielsweise die 63jährige Nuriye Cengiz sollte ihre Erdgeschosswohnung in Nord-Neukölln verlassen, weil das Sozialamt die nahezu verdoppelte Miete nicht bezahlen wollte, die der neue Eigentümer des Hauses verlangte. So wurde Berlinerin zu einer medienbekannten Protagonistin des Mietprotests.


Die Kritiker sagen, dass bis zu 5.000 Mieter jährlich alleine in Berlin zwangsgeräumt würden. Harte Belege dafür gibt es nicht. Die Berliner Senatsverwaltung für Soziales hat angeblich keine Zahlen. Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Wohnungslosenhilfe kann keine Angaben für die bundesweite Situation machen. Eine Sprecherin der Berliner Sozialverwaltung stellt die hohen Zahlen allerdings in Frage. Praktizierte Zwangsräumungen seien eher die Ausnahme, in vielen Fällen würden die Sozialämter die höheren Mietkosten übernehmen.


Info-Kasten

Mehr Sozialwohnungen

Wie andere Städte und Stadtstaaten hat der Berliner Senat mittlerweile erkannt, dass er zusätzlichen Wohnraum für Leute mit geringen und mittleren Einkommen schaffen muss. Ab kommendem Jahr soll es in der Hauptstadt wieder Wohnungsbauförderung für Sozialwohnungen geben. Und ein offizielles Ziel lautet, dass innerstädtische Baugebiete künftig mindestens 30 Prozent sozialverträglich bezahlbaren Wohnraum enthalten müssen. Bis zur Realisierung dürften jedoch Jahre vergehen.


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