Unten Fisch, oben Tomaten

Bald könnte auf Supermarktdächern frisches Gemüse für den Verkauf wachsen

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Von Wolfgang Mulke

18. Jul. 2012 –

Interessiert lässt sich Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner auf dem ehemaligen Berliner Flugfeld Tempelhof den Zusammenhang zwischen Gemüsebeeten und sozialen Kontakten erklären. 300 Hochbeete von 700 Kleingärtnern haben einen Teil des alten Airports erobert. Nach dem Vorbild Havannas und New Yorks bauen nun auch die Berliner zunehmend Tomaten, Gurken oder Erdbeeren auf Freiflächen, Dachgärten oder Mietparzellen mitten in der Großstadt an. Mit einigen zehntausend Schrebergärten hat dieser Beitrag zur Selbstverpflegung in der Hauptstadt auch eine lange Tradition.


„Für uns steht nicht die Produktion im Mittelpunkt“, erklärt Kerstin Stelmacher von der Initiative Allmende Kontor, der Tempelhofer Gemeinschaftsgarten böte eine soziale Plattform für das Miteinander der Nachbarn. „Gemeinschaftlich nutzen - statt besitzen“, lautet ein Motto der Pioniere, die sich für einen Euro im Jahr einen Quadratmeter Flughafen sichern können. Die CSU-Politikerin kann mit den postsozialistischen Idealen gut umgehen. „Immer mehr Menschen entdecken mitten in der Stadt die Lust am Landleben und bekommen dadurch einen neuen Bezug zur Produktion von Lebensmitteln“, lobt die Ministerin das Projekt.


Die Fachbegriffe für diese Bewegung stammen aus dem Englischen. Mit „Urban Gardening“ sollen städtische Problemzonen durch gemeinsames Gärtnern befriedet werden. Beim „Urban Farming“, geht es um einen echten Beitrag zur Produktion von Nahrungsmitteln. Davon erhoffen sich die Gründer des Unternehmens „Efficient City Farming“ (ECF) eine lukratives Geschäftsfeld. Die Firma hat sich in einer alten Brauerei, nicht weit vom Tempelhofer Pionierfeld niedergelassen. „Urbane Landwirtschaft macht Sinn“, wirbt Mitgründer Nicolas Leschke bei Aigner für eine kuriose Idee. ECF kombiniert die Fischzucht mit der Produktion von Tomaten oder Zuccini.


Das Prinzip ist einfach, wie ein Blick auf die in einem Schiffscontainer untergebrachte Pilotanlage zeigt. Im Behälter werden Buntbarsche im Bassin aufgezogen. Deren Exkremente wieder dienen als Dünger für das Gemüse, dass auf dem Dach in einem Gewächshaus wächst. Die Produktion von Fisch und Pflanzen ist klimaneutral und kann unmittelbar beim Abnehmer angesiedelt werden. „Fisch und Pflanzen leben in einem Kompromiss“, erläutert Sven Würtz vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, das die Entwicklung wissenschaftlich begleitet.


So soll die professionelle Landwirtschaft in die Stadt ziehen. 35.000 Euro kostet ein Container, der 200 Barsche und 100 Gemüsepflanzen fasst. Die Ziele von ECF sind freilich weitaus höher gesteckt. Auf dem Dach der Brauerei und in den darunter liegenden Hallen entsteht bald eine erste Dachfarm, die 80 Tonnen Fisch und rechnerisch 500 Tonnen Tomaten im Jahr liefern kann. Damit wollen die Gründer die Praxistauglichkeit ihres Konzeptes beweisen.


Mit den Probeanlagen will ECF dann vor allem Supermarktketten als Kunden gewinnen. Deren großen Parkplätze könnten überdacht als Gemüsebeete fungieren. Dann kämen Frischfisch und Grünzeug direkt vom Erzeuger in den Laden. Lange Transportketten und die aufwändige Kühlung entfallen. Das Interesse der Handelskonzerne sei vorhanden, berichtet Leschke.


Aigners Urteil ist noch vorsichtig. „Das muss sich erst einmal in der Praxis bewähren“, sagt die Ministerin, „es wird eine Ergänzung zur Lebensmittelproduktion in Deutschland sein.“ Auch die Gründer wissen, dass der Hunger in der Welt durch städtische Farmen nicht besiegt werden kann. Gleichwohl sehen die Absatzchancen in großen Ballungsgebieten wie dem chinesischen Shanghai, wo die Versorgung der vielen Millionen Einwohner mit Nahrungsmitteln problematisch ist. Einstweilen suchen die Pioniere noch Geldgeber für den Aufbau der ersten großflächigen Stadtfarmen. Drei Millionen Euro braucht ECF dafür.







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