„Unternehmen können nicht dauerhaft wachsen“

Rio+20: Ökonom André Reichel plädiert für Geschäftsmodelle, die ohne Expansion auskommen

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Von Hannes Koch

18. Jun. 2012 –

Hannes Koch: Eine „nachhaltige Entwicklung“ propagiert der UN-Gipfel in Rio. Muss die Wirtschaft auf Wachstum verzichten, damit Ökologie keine Worthülse bleibt?

André Reichel: Ja, einiges spricht dafür, dass ein Wirtschaftswachstum wie in den vergangenen 60 Jahren und der eigentlich notwendige sorgsamere Umgang mit der Natur nicht zusammenpassen.

Koch: Ohne Wachstum geht es nicht, sagen aber Unternehmer und Manager. Daimler oder Aldi – können solche Firmen überleben und Arbeitsplätze anbieten, ohne permanent größer zu werden?

Reichel: Dauerhaftes Wachstum ist kaum möglich. Das durchschnittliche Unternehmen lebt 40 Jahre, dann stirbt es. Auch ein Konzern wie Daimler, der seit fast 100 Jahren am Markt ist, kann nicht ständig steigende Mengen an Fahrzeugen produzieren. Dem steht beispielsweise entgegen, dass der Treibstoff Erdöl immer teurer wird. Deshalb ist die Nachfrage nach Autos begrenzt.

Koch: Dann könnte Daimler doch weiter wachsen, indem man Elektroautos herstellt.

Reichel: Auch die Batterien brauchen knappe Rohstoffe, deren Preise steigen. Und wo sollen die gigantischen Mengen des benötigten Stroms herkommen? Die Ausgangsmaterialien für Wind- und Solarkraftwerke werden ebenfalls teurer. Die bisherigen Geschäftsmodelle, die auf günstigen Ressourcen basieren, werden bald nicht mehr möglich sein.

Koch: Würde es helfen, wenn der Autoproduzent allmählich umstiege auf Dienstleistungen wie Carsharing?

Reichel: Ein gemeinsam genutztes Fahrzeug verdrängt sechs bis acht Privatautos. Wenn dieses Modell um sich greift, verkaufen die Automobilhersteller weniger als heute. Viele Fabriken wären überflüssig und es würden Arbeitsplätze im Servicesektor entstehen, Daimler würde materiell schrumpfen. Hinzu kommen weitere volkswirtschaftliche Grenzen: Denken Sie an die hohe Verschuldung von Unternehmen, Privatleuten und Regierungen in den westlichen Industrieländern. Einen guten Teil der zukünftigen Gewinne haben wir schon konsumiert. Der Trend zum Mehr geht nicht ewig so weiter.

Koch: Das mag für Europa oder Nordamerika gelten. In Asien, Afrika und Südamerika aber wollen hunderte Millionen Menschen zusätzliche Autos kaufen.

Reichel: Auch dort wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Der Preisanstieg bei Metallen und anderen Rohstoffen macht sich auf der ganzen Welt bemerkbar.

Koch: Die wenigsten Unternehmen scheinen sich heute mit diesen Herausforderungen zu beschäftigen. Sie machen weiter wie bisher.

Reichel: Das ist ein Fehler. Sie sollten sich auf einen Zustand mit geringen Zuwachsraten einstellen. Nur die Firmen werden überleben, die neue Geschäftsmodelle wenigstens schon einmal ausprobiert haben.

Koch: Größere Produktion, mehr Umsatz, mehr Gewinn – weil ihre Konkurrenten wachsen, müssten sie es auch selbst tun, sagen die Manager. Stimmt dieses Argument?

Reichel: Solche Thesen sind oft unschlüssig. Der Gewinn ist ja die Differenz aus Umsatz und Kosten. Wenn diese beiden Größen konstant bleiben, kann eine Firma Profit erzielen, ohne zu wachsen. Damit hat sie grundsätzlich auch Mittel zur Verfügung, um zu investieren und ihre Produkte weiterzuentwickeln.

Koch: Kennen Sie Beispiele für Unternehmen, die quantitativ stagnieren, denen es aber trotzdem gut geht?

Reichel: Sehr viele Handwerksbetriebe machen das so. Sie können von ihrem lokalen Markt leben, ohne zu expandieren. Aber auch größere Unternehmen finden Wege jenseits der alten Wachstumsideologie. So produziert Henkel im schwäbischen Forchtenberg langlebige, hochwertige Stahlrohrmöbel. Wegen der guten Qualität kann die Firma auch deshalb ausreichende Mittel erwirtschaften, indem sie mitunter den Mehrwert für den Kunden in höheren Preisen bezahlt bekommt.

Koch: Ist die Ideologie des Wachstums vor allem eine Strategie der transnationalen Aktiengesellschaften, die ihren Aktionären hohe Dividenden zahlen wollen?

Reichel: Da ist was Wahres dran. Aber die These von der Notwendigkeit der Expansion hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zum Allgemeingut entwickelt. Sie ist zwar in der Ausnahmesituation der Zeit nach dem 2. Weltkrieg entstanden, hat jedoch die Kraft einer kulturellen Prägung gewonnen, von der sich Unternehmer und Manager allmählich befreien sollten.

Bio-Kasten
Dr. André Reichel (Jahrgang 1974) lehrt und forscht über Postwachstumsökonomie und nachhaltige Unternehmensmodelle an der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen am Bodensee. Früher hat er bei Professor Erich Zahn an der Uni Stuttgart gearbeitet, der den Club-of-Rome-Bericht von 1972 über die „Grenzen des Wachstums“ mitverfasste. Reichel ist zudem politisch bei den Grünen aktiv.

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