Urteil gegen Hartherzigkeit

Kommentar zu Bagatell-Kündigungen

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Von Hannes Koch

10. Jun. 2010 –

Aus der Firma zwei Schrauben oder andere Cent-Artikel zu stehlen, bedeutete vor 30 Jahren eine größere Verfehlung, als heute. Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Stimmung hat das Bundesarbeitsgericht am Donnerstag die Kündigung der Kassiererin Barbara E., bekannt als „Emmely“, aufgehoben. Die Mitarbeiterin der Supermarktkette Kaiser´s Tengelmann hat damit das Recht, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Das ist eine gute Entscheidung des Gerichts. 

 

Schließlich habe Barbara E. nur zwei Pfandbons im Wert von 1,30 Euro entwendet. Dieser geringe Schaden könne die 30jährige Arbeitsleistung der Kassiererin nicht entwerten und auch das Vertrauen des Arbeitgebers in die Mitarbeiterin nicht zerstören, sagten die Richter. Die Kündigung sei damit nicht gerechtfertigt.

 

Diese Entscheidung spiegelt wider, dass sich in unserer Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten viel verändert hat – nicht immer zum Guten. Früher beispielsweise verdienten viele Leitende Angestellte das Zwanzigfache des normalen Arbeiters. Heute bekommen manche Manager das Hundertfache des Lohns der einfachen Beschäftigten. Wenn sich Einkommen, Vermögen und Lebenschancen derart auseinander entwickeln, verschieben sich auch Werte und das Gefühl für Gerechtigkeit. So will es angesichts von Milliarden-Gewinnen der Unternehmen vielen Bundesbürgern nicht mehr einleuchten, dass man wegen der Unterschlagung von 1,30 Euro in die Arbeitslosigkeit befördert wird.

 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist damit auch ein Urteil gegen eine weit verbreitete Hartherzigkeit in Wirtschaft und Wirtschaftspolitik. Darüber nachzudenken und Schlussfolgerungen zu ziehen, stünde auch der Bundesregierung gut an. Wer beim Sparen zuerst Hartz-IV-Empfänger, Wohngeldbezieher und Eltern mit geringen Einkommen zu Opfern heranzieht, die Wohlhabenden aber nicht mit höheren Steuern belastet, praktiziert dieselbe Haltung, die das Bundesarbeitsgericht nun unausgesprochen kritisiert hat.

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