• Erfinder Apurv Mishra mit Stirnsensor |Foto: privat
    Erfinder Apurv Mishra mit Stirnsensor |Foto: privat

Verschiedene Wege die Welt zu verändern

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Von Hannes Koch

24. Jan. 2014 –

Im Alter von elf Jahren hat der indische Junge Apurv Mishra seine erste Erfindung gemacht. So erzählt er. Es war ein kleiner Stift, den man leicht am Hals einer Flasche befestigen konnte. Auf das Kinn des Durstigen aufgesetzt, gewährleistete dieser Abstandshalter, dass die Flasche nicht mit dem Mund in Kontakt kam – ein Schutz gegen die Übertragung von Krankheiten.

 

Jetzt sitzt Mishra, dunkle Haut, schwarzes Haar, in der Bar des Hotels Schweizerhof in Davos. Er ist eingeladen vom Weltwirtschaftsforum (WEF), dem Club der größten Konzerne des Globus. Wahrscheinlich gibt es keine andere Veranstaltung, zu der mehr Vertreter der Wirtschafts- und Politikelite erscheinen. Der junge Mann aus Indien mit dem sanften Händedruck scheint hier nicht richtig hinzupassen.

 

Mit 14 Jahren entwickelte Mishra für seinen Opa, der an Paralyse litt und sich kaum mehr bewegen konnte, eine Art Brillengestell ohne Gläser, das mit Sensoren die Stirnmuskeln abtastete und mit einem Display verbunden war. Indem sein Großvater die Augenbrauen bewegte, konnte er sich so mit seiner Familie verständigen. Der US-Computerkonzern Intel wurde auf Mishra aufmerksam. Später schaffte dieser es, für sein Gerät ein US-Patent zu bekommen. In Serie hergestellt und verkauft wurde es aber nicht.

 

Trotzdem freut Mishra sich wie Kind, wenn er von diesem Apparat und seinen weiteren Plänen berichtet „Mein Traum ist es, dass Menschen mittels Technologie zusätzliche Fähigkeiten erwerben.“ Er beschreibt sich als „passionate“, er arbeite leidenschaftlich. Tatsächlich kann man ihn fast immer auf Skype erreichen, auch wenn es an seinem Wohnort vier Uhr morgens ist. Leute, die es wissen müssen, glauben an Mishras Potenzial. Zum Beispiel bekommt er Förder-Dollars von einem Fonds, in dem Geld der US-Familie Draper steckt, die auch die Entwicklung der Tesla-Elektro-Autos mitfinanzierte.

 

Heute ist Mishra 23 Jahre alt. Er hat Indien verlassen und arbeitet in San Mateo im kalifornischen Silicon Valley. Bald soll sein erstes Produkt auf den Markt kommen: Gloveo, ein kleiner, umschnallbarer, weniger als 100 Dollar teurer Sensor, der Körperbewegungen registriert. An der Hand des Karate-Schülers befestigt, kann das Gerät mitteilen, ob der Handkantenschlag richtig ausgeführt wurde. „Der Karate-Trainer wird überflüssig“, sagt Mishra. Und Unfallopfer könnten mit Hilfe von Gloveo die Bewegungen ihrer Gliedmaßen neu erlernen. Ist das das nächste heiße Ding der Hightech-Zukunft? Vielleicht. Wer weiß?

 

Dass Leute wie Apurv Mishra aus aller Welt zum WEF eingeladen werden, mit freier Kost, Logie und vielen Annehmlichkeiten, ist ein relativ neues Phänomen. Der Wirtschaftsgipfel von Davos hat sich verändert. Früher trafen sich hier nur die wirklich Mächtigen, die Vorstandsvorsitzenden und Politiker jenseits der 60.

 

Dann gab es zu Beginn der 2000er Jahre gewältigte Auseinandersetzungen um das beschauliche Bergstädtchen . Jungsozialisten, Autonome, Anarchisten und Gewerkschafter forderten die Elite heraus. Sie wollten in Davos gegen das WEF demonstrieren. Die Polizei verhinderte das mit Gummigeschossen. Weltweit formierte sich damals eine globalisierungskritische Protestbewegung, in Frankreich entstand die Organisation Attac und im brasilianischen Porto Alegre das Weltsozialforum - die globale Gegenveranstaltung zu Davos.

 

Deshalb mussten sich die Macher des WEF um Klaus Schwab in Genf bewegen, wollten sie nicht als stur und kritikresistenz dastehen. So öffneten sie das Forum. Unter anderem begannen sie, ehrgeizige junge Leute ausfindig zu machen, mittlerweile 3.000. Sie nannten sie „Global Shapers“ - globale Gestalter. Apurv Mishra ist einer von ihnen.

 

Diese Youngster sind so neugierig wie mutig. Auf eine meist sympathische Art meinen sie, das Individuum könne quasi alles schaffen, egal wie mies seine Ausgangsposition auch sei. Die Shapers sind keine Schluffis, sie wollen Karriere machen in dem Sinne, dass sie ihr eigenes Leben in die Hand nehmen. Fast alle streben danach, ein Besseres für die Gemeinschaft zu erreichen. Und viele stellen die herrschende Ordnung in Frage, wenngleich nicht in einem primär politischen Sinn.

 

So muss Doreen Noni aus Daressalam, der Hauptstadt Tansanias, erstmal überlegen bei der Frage, ob ihre Tätigkeit, für die sie Global Shaperin geworden ist, die Gesellschaft ihres Heimatlandes verändert. Sie ist 24 Jahre alt, hat einen Abschluss für Multimediadesign einer britischen Universität, betreibt eine Produktionsfirma für Werbefilme und entwirft Mode für ihr eigenes Label, das Eskado Bird heißt.

 

Unlängst, so berichtet sie, habe sie mit ihrer Geschäftspartnerin eine neue Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, bei der 20 junge Tansanierinnen mit einer einheimischen Bankerin zusammentrafen. Eine Art Karriereberatung für die Berufsanfängerinnen. Das Ziel: Frauennetzwerke stärken.

 

Außerdem ist Noni dabei eine Stiftung zu gründen, eine selbstorganisierte Schule für Bildende Kunst, auf die sie später junge Landsleute einladen will. Ihr Motto lautet: „Wenn Du einen Traum hast, versuche ihn zu verwirklichen“. Sie sagt: „Ich möchte, dass jedes Kind die Chance hat zu träumen.“ Ist das nun politisch? Sicherlich in dem Sinne, dass selbstbewusste, aufgeklärte, junge Leute dazu neigen, Althergebrachtes in Frage zu stellen, und damit potenziell auch Institutionen und Regierungen herauszufordern.

 

Indem das WEF solche Leute einlädt, riskiert die Organisation, dass aus ihrem eigenen Motto „Den Zustand der Welt verbessern“ vielleicht ein wenig Realität wird. WEF-Sprecher Georg Schmitt sagt: „50 Prozent der Weltbevölkerung sind jünger als 27 Jahre alt. In internationalen Organisationen, in Politik und Wirtschaft sind sie jedoch krass unterrepräsentiert. Um diesen Gegensatz aufzulösen, und die etablierten Entscheider aus Politik und Wirtschaft unter ein konstruktives Störfeuer zu nehmen, hat das Forum die Shapers ins Leben gerufen.“

 

Andreas Cassee (31) allerdings ist dieser Ansatz viel zu wenig grundsätzlich. Auch er gehört zum WEF von Davos – als Gegenpart. An der Universität Zürich hat er gerade seine Dissertation im Fach Philosophie abgegeben. Vor 14 Jahren demonstrierte Cassee, rötliche Haare, Pferdeschwanz, selbst gegen das Forum. Nun ist er Mitglied der Jury des Public-Eye-Award, dem Negativ-Preis für unverantwortliches Unternehmesverhalten, den dieses Jahr der russische Staatskonzern Gazprom für Umweltsünden bei der Erdölförderung bekommen hat. 300.000 Personen weltweit gaben per Internet ihre Stimme ab.

 

Cassee ist ein scharfer Kritiker der Konzerne. Ihr alljährliches Treffen in den verschneiten Graubündener Alpen ist ihm und seinen Mitstreitern ein willkommener Anlass, das eigene Anliegen zu transportieren. Genug Medien sind auch da. Die Negativ-Auszeichnung und das öffentliche Anprangern versteht Cassee als Nadelstiche, um die Unternehmen unter Druck zu setzen – Schritte auf dem Weg zu besseren internationalen Regularien, die die Konzerne bändigen könnten. „Die Politik sollte das Primat über die Wirtschaft zurückgewinnen,“ sagt der Kritiker. Das ist eine Forderung, die im großen Versammlungssaal des Kongresszentrums von Davos wahrscheinlich keine Mehrheit bekäme.

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