Verschwörungen sind kaum nachweisbar

Die Urteile der Rating-Agenturen bleiben rätselhaft

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Von Wolfgang Mulke

17. Jan. 2012 –

Verschwörungen sind naturgemäß geheime Veranstaltungen und schwer nachweisbar, wenn keiner der Beteiligten auspackt. Wenn davon gesprochen wird, bleibt es in der Regel bei Vermutungen oder Unterstellungen. So verhält es sich auch mit der wachsenden Kritik an den amerikanisch dominierten Rating-Agenturen. Immer häufiger wird der Verdacht geäußert, deren strenge Bewertung der Kreditfähigkeit europäischer Staaten und ihr vergleichsweise nachsichtiger Umgang mit den Finanzzentren USA und Großbritannien habe tiefere Gründe.

Zu den Anhängern dieser Theorie gehört der Chefanalyst der Bremer Landesbank, Volker Hellmeyer, mit Blick auf die Benotungspraxis der Agentur Standard & Poors (S&P). Erst stuften die Bonitätsexperten Frankreich versehentlich herab, gerade als mit dem Regierungswechsel in Italien Hoffnung auf eine Beruhigung der Euro-Krise aufkam. Die Meldung wurde zwar schnell zurückgezogen, doch die Unsicherheit blieb. Jetzt setzt die Bewertungsfirma die Kreditwürdigkeit von gleich neun Staaten in Europa herab. „Wer dahinter Zufälligkeit erkennen will“, lästert Hellmeyer, „dem sei das überlassen.“ Eine „politische Agenda“ hält der Devisenexperte für wahrscheinlicher.

Tatsächlich sind die Maßstäbe der Rating-Agenturen schwer nachzuvollziehen. Der Blick auf die Staatsverschuldung erklärt die Urteile jedenfalls nicht. Die Gesamtverschuldung der Euroländer lag im vergangenen Jahr bei durchschnittlich 85 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP). Italien ist mit 120 Prozent zwar deutlich schlechter dran. Doch auch die USA mit etwa 100 Prozent oder Großbritannien mit 90 Prozent sind keine Musterknaben. Von Japan ganz zu schweigen. Das Land steht mit 230 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in der Kreide. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Neuverschuldung. Hier stehen die Euroländer deutlich besser da als der angloamerikanische Raum. 2011 nahmen die Euro-Staaten durchschnittlich 4,2 Prozent des BIP an neuen Krediten auf. Die Amerikaner kamen auf fast zehn Prozent, die Briten auf 8,5 Prozent. Doch beim Rating genießen die Briten weiterhin die Bestnote. Die USA liegen trotz ihres riesigen Schuldenberges gleichauf mit Frankreich, das mit einer Verschuldung von rund 82 Prozent und einem Defizit von sieben Prozent besser aussieht.

Dazu kommen noch die erheblichen Reformbemühungen der Krisenländer in Europa. In Italien oder Griechenland, in Irland, Portugal oder Spanien werden harte Sparprogramme eingeleitet und Strukturreformen vorbereitet. Dagegen verharren die USA in einer Wahlkampfstarre, bei der sich Republikaner und Demokraten gegenseitig blockieren. In Bezug auf die Fähigkeit, ihre Schulden auch zu begleichen, haben sowohl die Amerikaner als auch die Briten allerdings einen gewaltigen Vorteil. Im schlimmsten Fall können ihre Notenbanken Geld drucken und damit die Kredite tilgen.

Womöglich haben die Bewertungsfirmen andere Ziele im Sinn. Die Eigentümerstruktur der Branchenriesen Moodys, S&P sowie Fitch, die in New York sitzen, lässt gewisse Eigeninteressen erahnen. Die beiden ersten gehören mehrheitlich großen US-Investoren, die ein Interesse am Dollar als Leitwährung haben, weil sie vor allem davon viel besitzen. Dem Milliardär Warren Buffet gehört zum Beispiel ein großer Teil von Moodys. Dabei sind auch Fondsgesellschaften wie Fidelity und große amerikanische Banken. Bei Fitch liegt der Fall anders. Die Agentur wird vom französischen Konzern Fimalac kontrolliert. Nach der Herabstufung Frankreichs durch S&P beeilte sich Fitch mitzuteilen, dass sie keineswegs um die Bonität der Franzosen fürchten. Nachweisen lassen sich Zusammenhänge zwischen den Besitzverhältnissen und den Urteilen natürlich nicht.

Skepsis gegenüber der Objektivität der Bonitätseinstufungen hat sich auch in der Politik längst breit gemacht. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zeigt sich von den Herabstufungen unbeeindruckt. „Wir sollten uns nicht zu sehr verrückt machen lassen“, warnt der oberste Kassenwart. Wirtschaftsminister Philipp Rösler spricht von einer Attacke der Agenturen auf den Euro. Außenminister Guido Westerwelle plädiert für die Gründung einer unabhängigen europäischen Bewertungsfirma nach dem Vorbild der Stiftung Warentest. So soll mehr Wettbewerb auf diesem von drei Unternehmen dominierten Markt entstehen. Unausgesprochen bleibt, dass damit auch ein Gegengewicht zu einer Interessenpolitik der US-Agenturen geschaffen werden könnte.

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