Volksbegehren will Berliner Wohnungsunternehmen enteignen

Wer mehr als 3.000 Wohnungen besitzt, soll sie an die Stadt abgeben. Die öffentliche Meinung in der Stadt ist gespalten.

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Von Wolfgang Mulke

01. Mär. 2021 –

Der Zeitpunkt für eine Unterschriftensammlung ist in diesen Tagen denkbar ungünstig. Die gut 1.700 Sammler der Berliner Initiative „Deutsche Wohnung & Co enteignen“ müssen die Abstandsregeln einhalten, die Stifte an den Ständen nach jeder Signatur desinfizieren und eine Maske tragen, was Diskussionen mit Passanten über das umstrittene Vorhaben erschwert. Dennoch rechnet Rouzbeh Taheri mit einem Erfolg des nun gestarteten Volksbegehrens. „Was heute anfängt, ist eine Massenbewegung“, glaubt der Sprecher der Initiative.

Es geht um einen weiteren Superlativ in der Wohnungspolitik der Hauptstadt. Nach dem Mietendeckel droht Wohnungsunternehmen mit großen Beständen von mehr als 3.000 Wohnungen nun die Enteignung. Darauf zielt das Volksbegehren ab. Betroffen wären in diesem Fall etwa ein Dutzend Unternehmen, vor allem die Deutsche Wohnen, mit rund 100.000 Wohnungen der größte Eigentümer an der Spree. Insgesamt geht es um etwa 210.000 Wohnungen, ein Zehntel des Bestands. Für die Stadtkasse wäre dies ein teures Verfahren. Bis zu 36 Milliarden Euro an Entschädigungen könnten auf sie zukommen.

Doch noch ist es nicht so weit. Das Volksbegehren steckt erst in der zweiten von drei Stufen. 175.000 gültige Unterschriften muss die Initiative zusammenbekommen. Schafft sie es, werden die Berliner neben dem Abgeordnetenhaus und dem Bundestag am 26. September auch über das Volksbegehren abstimmen.

Die Initiative ist eine Folge der katastrophalen Lage auf dem Wohnungsmarkt der Hauptstadt. Die Mieten sind in den letzten Jahren massiv angestiegen. Erst der vom Senat verordnete Mietendeckel hat für eine Beruhigung gesorgt, allerdings mit Nebenwirkungen. Es kommen weniger Angebote auf den Markt als üblich. Anscheinend warten Vermieter auf höchstrichterliche Entscheidungen zu diesem Gesetz. „Der Mietendeckel wirkt schnell, aber nur zeitlich begrenzt“, begründet Taheri, dass seine Initiative trotz der staatlichen Mietbegrenzung am Volksbegehren festhält.

Ob eine Enteignung überhaupt verfassungsgemäß wäre, ist umstritten. Im Zweifel werden auch hier wohl Verfassungsrichter das letzte Wort haben. Die Nervosität in der Wohnungswirtschaft und der Politik ist trotzdem groß. Denn die Bevölkerung ist gespalten, wie eine jüngst veröffentlichte Umfrage der CDU zeigt. Danach lehnen 51 Prozent der Berlinerinnen und Berliner eine Enteignung ab. Doch immerhin 36 Prozent sind dafür und elf Prozent unentschlossen. Selbst unter den FDP-Anhängern kann sich noch jeder neunte für den massiven Markteingriff erwärmen. Strikt dagegen sind der Regierende Bürgermeister Michael Müller und seine mögliche Nachfolgerin Franziska Giffey. Während vier von fünf CDU-Wählern dagegen sind, teilt sich die Anhängerschaft bei SPD und Grünen in Befürworter und Gegner. Nur die Linke unterstützt das Vorhaben.

Nun haben Taheri und seine Mitstreiter vier Monate Zeit, die notwendige Zahl an Unterschriften beizubringen. Unterstützt werden sie dabei auch von der Petitionsplattform „Change“, die nach eigenen Angaben allein 160.000 Berliner in ihrem Mailverteiler hat und auf diesem Wege Stimmen sammeln will. Schon in den letzten Tagen haben die vielen Helfer kräftig Plakate für das Volksbegehren im Stadtgebiet verteilt. Anscheinend haben dabei einige Aktivisten über das Ziel hinausgeschossen und unerlaubt Scheiben mit den Aufrufen zugekleistert. „Wir können nicht über 1.000 Plakatierer kontrollieren“, räumt Taheri ein. Anzeigen lägen jedoch noch nicht vor.

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