Volljährig

Wie José Manuel Barroso sich emanzipierte und zum entschiedenen Europäer wurde

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Von Hannes Koch

28. Jun. 2013 –

Ständig rief seine Mutter an, als José Manuel Barroso im Krieg zwischen Russland und Georgien vermitteln wollte. Ob es in Moskau nicht zu gefährlich sei, wollte die alte Dame wissen. Schließlich reichte es dem Filius und er übergab das Mobiltelefon mal kurz an Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der neben ihm stand. Der erklärte Barrosos Mutter, dass alles in Ordnung sei. Diese Anekdote soll Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, selbst einmal Journalisten erzählt haben.

 

Sohn zu sein macht bei Barroso möglicherweise einen größeren Teil der Biografie aus, als bei anderen Politikern. „Brav“ ist wahrscheinlich das richtige Wort für den Eindruck, den er hinterlässt. Bei seinen Auftritten ist er sehr korrekt gescheitelt. Selbst während einer visionären Rede wie der über die Zukunft Europas vor dem EU-Parlament in Straßburg im September 2012 klammert er sich Wort für Wort an sein Redemanuskript. Er ist zurückhaltend und vorsichtig, oft mangelte es ihm an Esprit und Überzeugungskraft. Seit seiner Wahl zum Präsidenten der Europäischen Kommission im Juli 2004 zog er deshalb nur wenige tiefe Furchen.

 

Damals hatte sich unter anderem CDU-Chefin Angela Merkel dafür eingesetzt, dass Barroso den Job bekam – und nicht dessen Konkurrent, der sprudelnde, linksliberale Europa-Vordenker Guy Verhofstadt, den der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder bevorzugte. Die jüngste Zeit allerdings sah einen anderen Barroso: Mehr und mehr emanzipierte sich der konservativ-liberale ehemalige Ministerpräsident Portugals (2002-2004) von seinen politischen Eltern. Mit der Regierung in Berlin geriet er wiederholt in Konflikt. Beim EU-Gipfel, der ab Donnerstag dieser Woche in Brüssel stattfindet, werden diese Spannungen ebenfalls eine Rolle spielen.

 

Vor allem ist die veränderte Position Barrosos ein Ergebnis der Finanz- und Staatsschuldenkrise der vergangenen Jahre. Soll Europa nicht zerbrechen, so zeigte sich, gibt es nur eine Richtung: Abschied von der Macht der Nationalstaaten, mehr Kooperation in einem vereinten Europa. Für diese Tendenz stehen eine ganze Reihe von Beschlüssen der vergangenen Jahre. Um der Krise Herr zu werden, wurden die gemeinsamen Stabilisierungsfonds EFSF und ESM eingerichtet, eine engere Kontrolle der nationalen Haushalte durch Brüssel etabliert und die zentrale Aufsicht über die wichtigsten Banken des Kontinents auf den Weg gebracht. Das alles bedeutet, dass die Europäische Union relativ zu ihren Gliedern an Gewicht gewinnt. In mancher Hinsicht ist dieser Prozess vergleichbar mit der Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika. Und er stärkt die Position des Präsidenten der Kommission, der die EU als informeller Regierungschef führt.

 

Diese Veränderung seiner Rolle hat Barroso aber auch aktiv genutzt, um eine eigene Agenda zu setzen, die den Interessen der Nationalregierungen zuwiderläuft. Selbst gegenüber Merkel hat er sich teilweise freigeschwommen.

 

So plädiert er aktuell dafür, möglichst schnell ein Wachstumsprogramm in Gang zu setzen, um die hohe Arbeitslosigkeit in Griechenland, Spanien, Portugal und anderen verschuldeten Euro-Staaten zu senken. Offiziell hat die EU zwar milliardenschwere Maßnahmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit und für die Förderung von Investitionen in der Wirtschaft beschlossen, doch umgesetzt hat man dies bisher nicht. Barroso will, dass der EU-Gipfel nun den Startschuss gibt.

 

Diese Programme sind auch zu verstehen als, wenn auch schwacher, Kontrapunkt zur deutschen Haltung der Priorität des Sparens. Die Austeritätspolitik habe „ihre Grenzen“ erreicht, sagte der EU-Kommissionpräsident im April. Früher als Merkel und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat der Portugiese erkannt, dass die EU den Verlierern der Krise konkrete Verbesserungen ihrer Lage bieten muss. Wenn in Südeuropa ein Drittel der Erwerbspersonen im Armut lebt, so Barroso, steht die Zustimmung der Bevölkerung zu Europa und damit die Existenz der EU insgesamt zur Disposition. Linke, Sozialdemokraten und Grüne erkennen diese Akzentverschiebung in der Haltung des Kommissionspräsidenten zwar an, kritisieren ihn aber gleichwohl dafür, dass aus solchen Erkenntnissen zu selten praktische Politik erwachse. Umgekehrt verweist Barosso darauf, dass ihn der EU-Rat der Nationalregierungen unter deutscher Führung allzu oft daran hindere, das zu tun, was eigentlich notwendig sei.

 

Ein ähnlich gelagertes Thema, mit dem Barroso in Widerstreit besonders zur Bundesregierung gerät, ist die Bankenunion – die europaweit einheitliche Aufsicht über den Finanzsektor, die künftig die zu hohe Verschuldung der Banken verhindern und marode Geldinstitute abwickeln soll. Barroso will der Europäischen Zentralbank eigentlich die Kontrolle aller Geldhäuser übertragen – auch der deutschen Volksbanken und Sparkassen. Dies hat die Bundesregierung einstweilen verhindert, musste allerdings zulassen, dass immerhin die größten Banken jedes Staates künftig der supranationalen Aufsicht unterstehen.

 

Als überwölbende Vision solcher Ansätze forderte Barroso in seiner Grundsatzrede vom 12. September 2012 eine „neue Richtung“ für Europa. Als Ziel propagierte er die „Föderation der Nationalstaaten“ und eine „stärkere Union“. Unter dem Strich heißt dies: Die EU-Kommissionspräsident will den Weg zum Vereinten Europa schneller und konsequenter gehen als Kanzlerin Merkel. Trotz dieser Profilierung wird Barroso eine dritte Amtszeit als Präsident nach den EU-Parlamentswahlen ab 2014 wohl verwehrt bleiben – die Mehrheit der Abgeordneten nimmt ihn noch immer eher als Sohn, denn als europäischen Erwachsenen wahr.

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