Vom Lohn zum Gefühl und zurück
IG Metall fordert etwa 6,5 Prozent mehr Lohn. Plausibel begründen kann sie nur die Hälfte
22. Feb. 2012 –
Viele Argumente in der Politik klingen rational. Tatsächlich aber spielen Emotion und Subjektivität eine große Rolle. 6,5 Prozent mehr Lohn wird die Industriegewerkschaft Metall wohl fordern, wenn sie Ende dieser Woche den Startschuss für die Tarifverhandlung 2012 abfeuert. Etwa die Hälfte dieser Forderung ist mit Hilfe ökonomischer Größen gut begründbar, beim Rest handelt es sich eher um Gefühlswerte.
Mit der Inflation nennt IG Metall-Sprecherin Ingrid Gier die erste Zahl, die in die Lohnforderung eingeht. Um etwa zwei Prozent werden die Preise 2012 nach Annahme vieler Ökonomen steigen. Dafür sollen die Beschäftigten einen Ausgleich erhalten.
Der zweite Faktor ist die Zunahme der Produktivität – der Ausstoß der Fabriken wächst beispielsweise durch technischen Fortschritt und Fortbildung des Personals. In der gesamten deutschen Wirtschaft wird diese Leistungszunahme 2012 rund ein Prozent betragen. In der Metall- und Elektroindustrie, über deren Löhne Gewerkschaft und Unternehmensverband ab dem 6. März verhandeln, läuft dieser Prozess allerdings schneller. Unter anderem durch stärkere Rationalisierung steigt die Produktivität hier wahrscheinlich in der Größenordnung von 1,5 Prozent. Auch daran sollen die 3,6 Millionen Beschäftigten der Branche teilhaben, fordert die Gewerkschaft. Zusammen mit der Inflation käme damit eine Lohnsteigerung von drei bis 3,5 Prozent heraus.
Soweit kann Martin Kannegiesser, der Präsident des Arbeitgeberverbandes, das Anliegen der Gewerkschaft zumindest nachvollziehen – wenn er es auch nicht teilt. Über die weiteren drei Prozent, die bis 6,5 Prozent noch fehlen, gehen die Meinungen weit auseinander.
Die wesentliche Basis dieser Zahl ist das Gefühl vieler Gewerkschaftsfunktionäre und Beschäftigten, dass sie in den vergangenen zehn Jahren beim Lohn zu kurz gekommen sind und auch 2011, in dem die Metallunternehmen nach der Krise wieder gut verdienten, mit 2,7 Prozent Lohnzuwachs ziemlich zurückhaltend waren. Mehr konkrete Zahlen zur Unterfütterung dieses Arguments, etwa zur Gewinnentwicklung der Metallfirmen, sind von der Gewerkschaft jedoch nicht zu bekommen. Dem Gefühl des Benachteiligt-Seins widerspricht die Einschätzung der gwerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung, dass in der Metallindustrie zumindest bis 2010 der „gesamtwirtschaftliche Verteilungsspielraum bei den Löhnen ausgeschöpft wurde“.
Auf diesen Schwachpunkt weist der Firmenverband Gesamtmetall hin, indem er das Tarifplus zwischen 2008 und 2011 auf insgesamt neun Prozent beziffert. Produktivitätszuwachs zuzüglich Inflation hätten in diesem Zeitraum dagegen nur 6,9 Prozent betragen, sagt Verbandssprecher Martin Leutz. Unter dem Strich verbuchten die Beschäftigten damit trotz Wirtschaftskrise ein beträchtliches Plus, so Leutz.
Und was meinen die Ökonomen? Gert Wagner, der eher arbeitnehmerfreundliche Chef des Deutschen Wirtschaftsforschung (DIW), hält drei Prozent im Durchschnitt der deutschen Ökonomie für angemessen. Das heißt aber auch, das einzelne Branchen wie die profitstarke Metallindustrie durchaus höhere Lohnzuwächse verkraften könnten.
So deutet Wagner an, worauf die Verhandlungen in der Metallindustrie vermutlich hinauslaufen: Man wird sich im Umkreis von vier Prozent einigen. Denn klar ist, dass die Gewerkschaft die Latte auch deshalb auf die Höhe von 6,5 Prozent legt, damit sie Spielraum hat, um sich herunterhandeln zu lassen.