Von autonomen Shuttlen und gelaserten Scheiben

Blick auf die Zukunft des Nahverkehrs

Teilen!

Von Björn Hartmann

06. Sep. 2023 –

Es kann so einfach sein: Per Mobiltelefon ein autonomes Fahrzeug buchen, das morgens vor der Haustür wartet und einen zum Bahnhof bringt, dann in der Bürokabine des Regionalzugs arbeiten, in der Stadt dann mit dem Leihfahrrad ins Büro – und alles über eine App im Telefon abrechnen. Besser noch, alles ist mit einem Monatsfahrschein abgedeckt. So jedenfalls könnte der Nahverkehr in Deutschland einmal aussehen. Derzeit ist Deutschland noch weit davon entfernt.

In Berlin jedenfalls lässt sich diese Woche in Blick in die Zukunft wagen. Die Deutsche Bahn hat eine Messe organisiert, um zu „zeigen, wie attraktiv und innovativ Nahverkehr sein kann“, wie Evelyn Palla sagt, im Vorstand des Staatskonzerns zuständig für Regionalverkehr. Die Bahn ist mit rund 60 Prozent Marktanteil der größte Nahverkehrsanbieter in Deutschland. Chatbots, die den Fahrgästen mit künstlicher Intelligenz beim Ticketkauf helfen, S-Bahnen, bei denen sich die Sitzzusammenstellung auf Knopfdruck ändern lässt, und fahrerlose Kleinbusse für 22 Personen dürften viele Pendler nicht elektrisieren, die eher darauf hoffen, ihre Mobiltelefone in den Zügen besser nutzen zu können.

Spannender ist ein Programm für das Mobiltelefon, dass von Tür zu Tür funktionieren soll und viele Nahverkehrsangebote verknüpft – Bus, Leihrad, Regionalzug etwa. Die App bietet verschiedene Reisemöglichkeiten an: schnelle, einfache, günstige oder nachhaltige. Die gewählte Verbindung ließe sich dann sofort buchen und bezahlen – unabhängig davon, wer jetzt das Leihrad anbietet oder welche Gesellschaft den Zug fährt.

„Wir müssen alles zusammendenken, um den Nahverkehr attraktiver zu machen“, sagt Palla, sonst wechsele niemand vom Auto. Getestet werden soll das von April 2024 an in Schleswig-Holstein an der Schlei: Busse und Bahnen im Takt, Transport auf Bestellung oder, wie es in der Branche heißt, On-Demand-Verkehr. Einfache Umsteigemöglichkeiten verspricht Palla, dazu neue digitale Fahrgastinformationen. Der Test soll auch auf andere Regionen ausgeweitet werden. Grundsätzlich ist offenbar vieles bereits technisch möglich, es muss nur eingesetzt werden.

Leider ist es nicht so einfach. Das beginnt schon damit, dass für Bahnen 27 verschiedene Aufgabenträger zuständig sind, für Busse eher die Kommunen. Auch das Geld kommt aus unterschiedlichen Töpfen. Und wer bestellt, bestimmt auch, was in den Nahverkehrszügen angeboten werden soll: Toiletten, Wlan, Zahl der Rollstuhl- und Fahrradplätze zum Beispiel. Und natürlich hat jeder Verkehrsverbund ein eigenes Ticketsystem und eine eigene App.

Für die, die in Berlin, Bielefeld, Dresden, Frankfurt, Freiburg, Mannheim oder München und den jeweiligen Großräumen unterwegs ist, mag das reichen, für die, die weiter fahren, wird es unübersichtlich. Dass die Bundesbürger den Nahverkehr dennoch gern nutzen, zeigt das Neun-Euro-Ticket. Fast jeder zweite hatte sich das pauschale Monatsticket im vergangenen Jahr gekauft. Das Deutschlandticket für 49 Euro, das es seit Mai gibt, schließt da an. Der Nahverkehrsverband VDV spricht von elf Millionen verkauften Monatsabos.

„Der günstige Preis ist nur das eine“, sagt Palla. „Wir brauchen auch ein besseres Angebot.“ Sie spricht von modernen neuen Bussen und Zügen und von Fahrzeugen, die auf Bestellung fahren. Im Idealfall sollten sie ohne Fahrer unterwegs sein, was die Kosten senkt und bei gleichem Preis mehr Angebot möglich macht. Die Bahn arbeitet hier mit den Anbietern ZF Friedrichshafen, Schaeffler in Herzogenaurach und Holon aus Paderborn zusammen. Bisher gibt es nur Testfahrzeuge, bis zum Serienbetrieb auf der Schwäbischen Alb oder in der Eifel dauert es noch etwas.

Greifbarer ist da ein neuer Bus, den die Bahn vom kommenden Jahr an einsetzen will, wenn Züge nicht fahren. Denn der Staatskonzern muss das in Teilen marode Schienennetz sanieren. Statt bei laufendem Betrieb über längere Zeit immer wieder etwas zu reparieren, sollen künftig ganze Streckenabschnitte komplett gesperrt und dann schneller und gründlicher erneuert werden. Los geht es 2024 auf der Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim.

Vom 15. Juli an wird fünf Monat lang rund um die Uhr gebaut. Die Fahrgäste müssen auf einen der rund 180 Busse ausweichen. Ein Teil wird in den neuen Bus des Herstellers MAN steigen, der für längere Strecken ausgelegt ist. Er sieht aus wie ein Linienbus, ist aber mit einer Toilette und großen Gepäcknetzen ausgestattet. Eingebaut sind 41 Sitzplätze. Die Bahn verspricht einen Standard wie im Zug. Und sogar Wlan gibt es. Derzeit wird der Bus zwischen Würzburg und Nürnberg getestet. Nach der Sanierung der Riedbahn ist die Strecke zwischen Berlin und Hamburg dran. Dort soll der Bus dann auch eingesetzt werden.

Und auch neue Nahverkehrszüge soll es geben: Die Bahn will bis 2030 gemeinsam mit den Ländern rund zwölf Milliarden Euro in neue Fahrzeuge investieren, elf Milliarden Euro allein in Bahnen. Und auch Telefonate im Regionalzug könnten bald besser laufen: Die Bahn will die Scheiben lasern. Alle Scheiben sind mit einer dünnen Metallschicht überzogen. Das schützt vor Wärme, lässt aber auch keine Mobilfunkwellen durch. Das neue Verfahren schneidet eine Netzstruktur in die Metallschicht, die sie so für Funkwellen öffnet. In Brandenburg und Bayern sind derzeit zwei Testzüge der Bahn unterwegs. Ob andere Züge folgen, ist noch offen. Die Bahn sucht noch weitere Verkehrsverbünde als Partner.

« Zurück | Nachrichten »