Vor der Kurve bremsen, dann wieder Gas geben

Leitartikel zur Energiewende

Teilen!

Von Hannes Koch

08. Jun. 2016 –

Vor einer scharfen Kurve muss man Tempo rausnehmen. Sonst fährt man in den Straßengraben, oder es passiert Schlimmeres. Autofahrer wissen das und bremsen. Das bedeutet nicht, dass sie stehenbleiben. So ähnlich ist es mit der Energiewende. Der Bundesregierung hat am Mittwoch abermals eine Reform des Gesetzes für die Erneuerbaren Energien beschlossen. Die Stromrevolution kommt damit aber nicht zum Stillstand, wie manche Umweltschützer und Ökoenergie-Lobbyisten beklagen. Nur das Tempo nimmt etwas ab.

 

Bisher wurde quasi jedes Ökokraftwerk gebaut, das irgendjemand bauen wollte. Und der Betreiber bekam eine Garantie, dass die Gemeinschaft der Stromkunden seine Energie zu einem festgesetzten Preis 20 Jahre lang kauft - ein aus betriebswirtschaftlicher Sicht wirklich luxuriöses Modell. Das hat die Energierevolution in Deutschland ermöglicht und die Wirtschaft zukunftsträchtige Exportprodukte entwickeln lassen. Heute bereits stammt ein Drittel des hierzulande verbrauchten Stroms aus Wind-, Sonnen- und Biomasse-Kraftwerken. In zehn Jahren wird es die Hälfte sein.

 

Die Änderung besteht nun darin, dass die Regierung Höchstmengen für den jährlichen Zubau festlegt. Statt beispielsweise 1.300 große Windräder werden auf deutschen Feldern dann pro Jahr vielleicht 800 errichtet. Und es kommen auch nur die Firmen zum Zuge, die den Strom zum günstigsten Preis herstellen. Dafür sorgen Ausschreibungen. Zudem werden, weil gegenwärtig die nötigen Stromleitungen fehlen, in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Teilen Hessens vorläufig deutlich weniger Windanlagen hinzukommen als in den vergangenen Jahren. Auch für Bürger, die am Dorfrand einen kleinen Windpark errichten wollen, wird die Lage durch die komplizierten Ausschreibungen nicht einfacher.

 

Das alles bedeutet aber nicht, dass Kanzerlin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) die Energiewende abwürgen. Wobei zutreffend bleibt: Ließe man der Entwicklung freien Lauf, könnte Deutschland die hundertprozentige Versorgung mit Ökostrom schneller erreichen, als es die Regierung jetzt plant.

 

Sie will aber nicht, dass ihr der Laden um die Ohren fliegt. Das muss man nicht richtig finden, erscheint politisch aber plausibel. Die große Koalition nimmt einfach Rücksicht auf die Interessen der konventionellen Energieversorger, deren Geschäftsmodelle durch den Boom des Ökostroms bedroht sind.

 

Einfach gesagt, verdrängt die zunehmende Menge sauberer Elektrizität die konventionell hergestellte Energie. Wegen des großen Angebots sinkt insgesamt der Strompreis – wenn auch viele Privatkunden das nicht merken, weil ihre Versorger sie daran nicht teilhaben lassen. Unternehmen wie E.ON, RWE, Vattenfall, EnBW und auch viele Stadtwerke sehen aber deutlich, wie sich der Wind dreht. Alte Kohle- und selbst neue Gaskraftwerke sind oder werden bald unrentabel. Diesen Firmen will die Regierung etwas mehr Zeit zur Anpassung geben – und damit verhindern, dass ständig tausende Beschäftigte der traditionellen Industrie, mobilisiert durch die Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, aus Angst um ihre Arbeitsplätze vor dem Bundeswirtschaftsministerium demonstrieren. Das ist die politische Kurve, die vor uns liegt. Da will die Regierung gut rumkommen.

 

Wenn das geschehen ist, wird es weitere Reformen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes geben. Denn möglicherweise reichen die jetzt festgelegten Zubaumengen in fünf bis zehn Jahren nicht mehr aus. Augenblicklich kalkuliert die Regierung nicht ein, dass dann viele alte Wind- und Sonnenkraftwerke außer Betrieb gehen. Für sie braucht man Ersatz – sonst kann Deutschland seine Versprechen für den Klimaschutz nicht einhalten.

 

Außerdem brauchen wir vermutlich bald mehr Strom als heute. Warum, erklärt ein Blick nach Norwegen. Dort plant die Regierung, ab 2025 keine Benzin- und Diesel-Autos mehr zuzulassen, sondern nur noch emissionsfreie Fahrzeuge. Die deutschen Autokonzerne werden die Bundesregierung zwar von einem ähnlich radikalen Schritt abhalten, aber auch hier müssen und werden Millionen Elektro-Fahrzeuge unterwegs sein. Das funktioniert nur, wenn viel mehr Ökokraftwerke viel mehr sauberen Strom produzieren. Ein entsprechender technologischer Wandel könnte auch Öl- und Gasheizungen verdrängen.

 

So dürfte die augenblickliche Phase der Drosselung eine vorübergehende sein. Jeder Autofahrer weiß: Nach der Kurve muss man wieder Gas, nein: Strom, geben.

« Zurück | Nachrichten »