Vorwürfe gegen Konzerne beim Weltwirtschaftsforum
Die Davos-Kritiker verleihen ihren Negativ-Preis an das „unverantwortlichste Unternehmen“ der Welt
22. Jan. 2014 –
Zwischen dünnen Birken liegt ein schwarzer Tümpel. Aus ihm entnimmt eine Frau in Gummistiefeln die Probe einer zähen, klebrigen Masse. Dieses und weitere Fotos stammen Greenpeace zufolge aus dem Umkreis von Erdöl-Bohrstellen des russischen Gazprom-Konzerns. Weil die Firma gegen naturzerstörende Öllecks zu wenig unternehme, wird Gazprom am Donnerstag möglicherweise zum „unveranwortlichsten Unternehmen der Welt“ gekürt.
Die Auszeichnung „Public Eye“ („Öffentliches Auge“) wird am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos von Greenpeace und der Schweizer Organisation Erklärung von Bern verliehen. Die Kritiker begleiten damit das alljährliche Treffen der Wirtschafts- und Politikelite, um „besonders Menschen- und umweltverachtende Geschäftspraktiken“ zu verurteilen.
Per Internet waren bis Dienstagabend knapp 300.000 Stimmen bei Public Eye eingegangen. Dann schloss die Abstimmungen. Bis dahin sprachen sich rund 100.000 Personen dafür aus, Gazprom den Preis zu verleihen. Nicht auszuschließen ist, dass dabei eine globale Öffentlichkeitskampagne von Greenpeace nachwirkte, mit der die Umweltorganisation die Freilassung von Ökoaktivisten aus russischer Haft erzwingen wollte. Die Greenpeacer hatten gegen Ölbohrungen im nördlichen Eismeer protestiert.
Der konkrete Vorwurf gegen den russischen Staatskonzern Gazprom, das „aktuell größte Gasunternehmen der Welt“, bezieht sich auf dessen Bohrplattform „in der eisbedeckten Petschorasee“. Dort, im Nordpolarmeer, zwischen der russischen Küste und der Insel Nowaja Semlja, soll unter dem Meeresboden liegendes Erdöl gefördert werden.
Greenpeace argumentiert, Gazprom habe bisher keinen Notfallplan veröffentlicht, um Öllecks in dieser empfindlichen Naturregion zu vermeiden und unter Kontrolle zu halten. Deshalb sei davon auszugehen, dass der Rohstoffkonzern die Verseuchung der Umwelt in Kauf nehme. Diese Zeitung hat Gazprom in der vergangenen Woche um eine Stellungnahme gebeten – ohne Antwort zu erhalten.
Auf Platz Zwei mit etwa 60.000 Stimmen standen am Dienstagabend die zwei deutschen Agro-Chemie-Unternehmen BASF und Bayer, sowie der Schweizer Konzern Syngenta. Gegen diese erheben die Kritiker den Vorwurf, „hochgiftige Pestizide herzustellen und zu verkaufen. Diese sind für das Massensterben von Bienen und anderen Bestäubern mitverantwortlich, die für Umwelt, Landwirtschaft und die globale Nahrungsmittelproduktion“ große Bedeutung hätten. Einige dieser Pestizide seien seit 2013 in Europa verboten. Trotzdem verkauften die Unternehmen ihre Produkte außerhalb der EU weiter, sagen die Kritiker. Das sei eine Ursache dafür, dass die Zahl der Bienen in den vergangenen Jahren teilweise um „20 bis 50 Prozent“ abgenommen habe.
Die drei Unternehmen weisen die Vorwürfe zurück. „BASF hat großes Interesse, die Ursachen für die abnehmende Bienengesundheit in einigen Regionen der Welt zu verstehen und entsprechend zu handeln“, erklärte ein Sprecher. Ebenso wie Bayer weist BASF daraufhin, dass die Bienen aus ganz unterschiedlichen Gründen stürben. Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen komme weniger der Einsatz von Pestiziden, sondern beispielsweise eher die Varroamilbe als Grund in Betracht.
Weitere Kandidaten für den Negativ-Preis sind der internationale Fußballbund Fifa (angebliche Vertreibung von Anwohnern beim Stadionbau für die WM in Brasilien), die Textilmarke GAP (angebliche Weigerung, ein Abkommen für Fabriksicherheit in Bangladesch zu unterzeichnen) und GlencoreXstrata (angebliche Steuervermeidung).