• Waschmaschine von Innen: Trommel

Warum ich meine Waschmaschine nicht wegwerfe

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Von Hannes Koch

28. Mai. 2016 –

Meine 19jährige Tochter hatte unlängst einen Unfall mit dem Rad. Keine Verletzungen, nur ihr schätzungsweise zehn Jahre altes Handy ging zu Boden und zu Bruch. Ich schlug ihr vor, mein Fairphone zu übernehmen. Selbst hätte ich mir dann die aktuelle Edition des Smartphones mit dem Gute-Gewissen-Faktor zugelegt.

 

Doch das wollte sie nicht. Im Gebrauchthandy-Shop in Berlin-Schöneberg wählte sie wieder ein betagtes Modell – ohne Internetzugang, Google Maps, Spotify, aber immerhin mit Kamera. 40 Euro sollte das kosten. Großzügig bot der Verkäufer an: Garantie bis morgen! Reicht ja, um zu testen, ob das Teil funktioniert. Flink fügte er hinzu: „Hält 30 Jahre“. Daraufhin verlangte ich 30 Jahre Garantie. Darüber wollte der Geschäftsmann jedoch nicht verhandeln.

 

Bestseller-Autor und Ökovisionär Harald Welzer sagt, dass meine Tochter kein Einzelfall sei, sondern zur Avantgarde gehöre. Viele seiner Studenten würden Mobiltelefone benutzen, die – in die Welt des Verkehrs übersetzt – einem Opel Admiral von 1965 ähneln. In seinem Buch „Die smarte Diktatur“ fordert Welzer, sich der digitalen Lebenweise zu verweigern, denn die löse keines der Menschheitsprobleme, weder die Klimakatastrophe, den Zwang zum Wirtschaftswachstum, noch die zunehmende soziale Spaltung zwischen Arm und Reich.

 

Mir geht diese These zu weit. Unsere Waschmaschine löst diese Probleme ebenfalls nicht. Bringe ich sie deshalb zum Schrott und wasche meine Socken per Hand? Viele andere scheinen das ähnlich zu sehen. Bei der Genossenschaftsversammlung dieser Zeitung soll Welzer gefordert haben, dass alle ihre Smartphones wegwerfen. Angeblich gab es eine Menge Applaus. Über einen Haufen iPhones auf der Straße konnte ich aber nichts in Erfahrung bringen.

 

Ich habe Zweifel an Welzers Forderung - und ihrer Durchsetzungskraft. Kann man sich dem technischen Fortschritt überhaupt verweigern? Reißt er uns nicht einfach mit? Vor unserem Supermarkt traf ich kürzlich einen Bekannten - linker Ökonom, intelligenter Typ. Ich erzählte ihm, dass mit künstlicher Intelligenz ausgestattete Computer mittlerweile Texte von der Länge einer  Din-A4-Seite so gut schreiben können, dass man nicht unbedingt mehr Journalisten dafür braucht. Ohje, nickten wir zwei ältere Herren, bald werden auch hochqualifizierte Autoren und Wirtschaftsforscher wegrationalisiert. Scheiß-Fortschritt. Empört Euch!

 

Ruckzuck jedoch nahm unser Gespräch diese Wendung: Wir waren uns einig, dass es sehr lästig ist, lange Interviews abzutippen. Kann nicht mal jemand eine gut funktionierende Software für Spracherkennung entwickeln, fragte ich? Mein Bekannter empfahl mir die neue Siri-Funktion auf den Apple-iPads. Die spare wirklich Zeit, lobte er.

 

Da standen wir also, wir Fortschrittsopfer. Gerade noch aufgeregt über die eigene Wegrationalisierung waren wir einen Atemzug später bereit, uns der technischen Revolution an den Hals zu werfen. Warum nur? Weil technischer Fortschritt mehr Lebensqualität verspricht: Zeitersparnis, schnelle Kommunikation mit vielen Freunden, Informationen aus aller Welt frisch auf den Bildschirm. Aber was bedeutet Lebensqualität?

 

Ein umstrittener Begriff. Meine Tochter sagte kürzlich: „Ich bin der Meinung, dass das Facebook-Apple-iPhone-Instagram-Zeitfresser-Rumgedaddel-Ding die Lebensqualität eindeutig nicht verbessert, sondern dies nur vorgaukelt.“ Gerade wollte ich ihr konkurrierendes Konzept so richtig auseinandernehmen, als es in unserer Wohnung dunkel wurde. Stromausfall in halb Kreuzberg. Meine digitale Welt brach zusammen. Sie dagegen setzte sich auf ihr analoges Rad und besuchte ihren Freund. So ganz life und persönlich. Punktsieg Tochter.

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