Wasserstoffausbau stockt
Viele Projekte, viel Zuversicht, wenig Konkretes
25. Apr. 2024 –
Schon länger arbeitet die Salzgitter AG daran, Stahl CO2-neutral herzustellen. Gerade schloss das Unternehmen einen Vertrag mit dem Energiekonzern Uniper. Die Düsseldorfer werden Wasserstoff aus ihrem Werk in Wilhelmshaven per Pipeline nach Niedersachsen ans Werk des drittgrößten deutschen Stahlproduzenten liefern. Es ist ein Beispiel dafür, wie Deutschlands Wandel von Erdgas zu Wasserstoff vorangeht – allerdings nur auf dem Papier. Wunsch und Wirklichkeit klaffen, wie auch bei der nationalen Strategie, noch auseinander.
Um die Klimaziele des Pariser Abkommens einzuhalten, setzt Deutschland auf erneuerbare Energieträger wie Sonne und Wind. Bis 2030 sollen 80 Prozent des deutschen Stroms aus solchen Quellen kommen. In der Industrie lässt sich aber vieles nicht mit Strom herstellen. Chemie-, Glas- und Stahlbranche etwa, die derzeit vor allem auf fossiles Erdgas setzen, brauchen Ersatz. Eine Lösung ist Wasserstoff. Bis 2030 sollen in Deutschland Elektrolyseure mit einer Leistung von zehn Gigawatt Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten. So sieht es die Wasserstoffstrategie der Bundesregierung vor.
Zuletzt planten Unternehmen bis 2030 Anlagen mit einer Leistung von 10,1 Gigawatt, wie aus der Wasserstoff-Bilanz des Energieunternehmens Eon hervorgeht. Die Daten ermittelt das Energiewirtschaftliche Institut der Universität zu Köln seit zwei Jahren. Erstmals könnte das Ziel der Bundesregierung auch erreicht werden. Die Zahlen zeigen auch: Es gibt sehr viele Pläne, aber wenig Konkretes. 37 Elektrolyse-Anlagen mit 66 Megawatt Leistung sind in Betrieb. Weitere 88 Projekte gibt es. Doch nur für 16 davon ist auch klar, dass Firmen wirklich investieren. Sie haben eine Leistung von zusammen 322 Megawatt. Die anderen sind erst einmal nur beabsichtigt.
„Wir brauchen mehr Tempo“, sagt Gabriël Clemens, bei Eon für das Wasserstoffgeschäft verantwortlich. Dass es nicht schneller geht, hat mehrere Gründe. Unter anderem fehlen Abnehmer. Zum einen lohnt sich für viele Unternehmen Wasserstoff im Vergleich zu anderen Energieträgern nicht, das Gas ist zu teuer. Zum anderen fehlen Leitungen,. Derzeit sind 420 Kilometer reine Wasserstoff-Pipelines in Betrieb. Sie gehören drei Gase-Anbietern in Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Geplant sind den Daten nach 6207 Kilometer bis 2035 – umgenutzte klassische Gaspipelines und neu gebaute. Das Wasserstoffkernnetz, das die Bundesregierung beschlossen hat, soll rund 10.000 Kilometer haben. Es würde gut 28 Prozent der Unternehmen, die Wasserstoff nutzen könnten, erreichen. Weitere Leitungen sind bisher nicht geplant.
Auch das Projekt von Uniper und Salzgitter ist noch unsicher. So ist das Elektrolyse-Werk mit 200 Megawatt Leistung, in dem Uniper in Wilhelmshaven Wasserstoff mit Windstrom aus der Nordsee erzeugen will, noch nicht im Bau. Frühstens 2028 könne man jährlich bis zu 20.000 Tonnen liefern. „Eine Pipeline-Verbindung von Wilhelmshaven nach Salzgitter ist zwingend erforderlich und muss schnellstmöglich geschaffen werden“, heißt es bei Uniper und Salzgitter. Pipeline-Betreiber und politische Entscheidungsträger müssten sich dringend auf einen beschleunigten Fahrplan einigen.
Eon-Wasserstoffchef Clemens zufolge sind auch noch einige Regelungen in Deutschland und der EU unklar. So fehlt eine klare Aussage, was genau grüner Wasserstoff ist. Er entsteht, wenn Wasser in einem Elektrolyseur mittels Strom aus erneuerbaren Quellen in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten wird. Aber was ist mit dem Transport? Zählt beim Import etwa aus Namibia der CO2-Ausstoß des Tankers mit in die CO2-Bilanz? Und wird die Produktion des Elektrolyseurs ebenfalls mit erfasst?
Auch heute schon wird Wasserstoff in Deutschland hergestellt. 400.000 Tonnen sogenannter grauer Wasserstoff werden aus Erdgas hergestellt. Gesprochen wird auch über blauen Wasserstoff, eine Art sauberer Version des grauen. Dabei wird das CO2, das entsteht, abgeschieden und eingelagert. Grüner Wasserstoff ist der sauberste, derzeit werden geschätzt 5172 Tonnen in Deutschland hergestellt. Trotz der Farbenspiele: Das Gas ist in jedem Fall unsichtbar.
Ist das Ziel der Bundesregierung zu erreichen, wenn so vieles vage ist? Immerhin sind es nur noch sechs Jahre bis 2030. Clemens ist zuversichtlich. Der Bau eines Elektrolyse-Werks sei in drei Jahre möglich. Probleme könnten Teile wie Transformatoren bereiten, die auch wegen des Ausbaus der Stromnetze gefragt seien. Da gebe es einige Lieferengpässe. Dennoch: „Das ist in sechs Jahren zu schaffen“, sagt er.
Importieren muss Deutschland ohnehin zusätzlich Wasserstoff. An der entsprechenden Strategie arbeitet die Bundesregierung gerade. Auch im Ausland stehen Investoren und Energiekonzerne vor ähnlichen Problemen wie in Deutschland. Es gebe zahlreiche Projekte, die aber nicht umgesetzt würden, weil niemand bestelle, sagt der Eon-Wasserstoff-Chef. Es ist ein bisschen wie das Henne-Ei-Problem. Immerhin ist das Thema erkannt, die deutsche Politik treibt es voran, die Industrie hat Interesse an Wasserstoff, Pipeline-Betreiber am Netz und Energieunternehmen an der Produktion. Ob wirklich etwas passiert, hängt wie immer in der Wirtschaft am Geld. Die Fördermittel sind aus Sicht von Eon nicht ausreichend, fehlende Förderzusagen bremsen zusätzlich. Clemens sagt: „Am Ende muss es sich lohnen.“