Weniger Kerosin, mehr Konzentration
Ökonomieprofessor Niko Paech kritisiert den Zwang zum Wirtschaftswachstum und versucht Verzicht
03. Apr. 2012 –
Professor Niko Paech lädt sich gerne Gäste ein. Wissenschaftler, die einen Vortrag in seiner Ringvorlesung halten, müssen aber eine besondere Voraussetzung erfüllen: Sie dürfen nicht mit dem Flugzeug kommen. „Wir organisieren eine kerosinfreie Veranstaltungsreihe“, sagt der Ökonom der Universität Oldenburg.
Paechs wissenschaftliche Spezialität ist die Kritik am Wirtschaftswachstum. Und die alltägliche Fliegerei mit ihrem Ausstoß großer Mengen klimaschädlichen Kohlendioxids hält er für eines der schädlichsten Symptome unseres Wirtschaftssystems, das Jahr für Jahr mehr Güter und Dienstleistungen produziert.
In diesen Tagen (genau: Dienstag, 3.4.2012) kommt sein neues Buch heraus. Der Titel lautet „Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“. Mit diesem Thema gehört Paech zu den Intellektuellen, die zur Zeit sehr gefragt sind. Seit dem Beginn der Finanzkrise 2007 ahnen mehr Bürger als früher, dass die gegenwärtige Form der Marktwirtschaft mit ihrem Zwang zur Steigerung der Produktion, des materiellen Wohlstandes, der Geldmenge und der Finanzgeschäfte eine Sackgasse sein könnte.
Nicht nur bei der Ringvorlesung versucht Paech, seine Theorie in die Praxis umzusetzen. Er benutzt kein Mobiltelefon, verzichtet auf Fleisch und fährt kein Auto. „Meistens mache ich Urlaub, indem ich vor meinem Haus auf das vollbepackte Mountainbike steige“, sagt er. Lange Koteletten, kantiges Gesicht, schlank – mit seinen 51 Jahren hat er sich ziemlich gut gehalten. Aber bedeutet diese Art der Selbstbeschränkung nicht auch Nachteile? Konflikte und Entwicklungen auf anderen Kontinenten erlebt er niemals persönlich – eine Bahnfahrt nach China dauert Wochen und sprengt seinen Zeitplan. „Ich lese Zeitung, schaue ins Netz oder erfahre das Wichtigste von Leuten, die dort gewesen sind“, sagt Paech.
Neben einer gewissen Genügsamkeit praktiziert er auch Anfänge einer modernen Subsistenz-Wirtschaft. Als gutes Beispiel für diese Möglichkeit betrachtet Paech die Fahrrad-Werkstatt der Uni Oldenburg in der Nähe seines Büros. Unter der Decke hängen dort Dutzende Felgen und Reifen, es gibt Werkbänke mit Schraubstöcken und Bohrern, in Haltern an den Wänden ordentlich sortiert sind Schraubenschlüssel vieler Größen. Fachkundige Studenten helfen den Besuchern, die ihre Räder selbst reparieren wollen.
Auch Paech werkelt ständig an seinen beiden Mountainbikes herum – er gibt sie nicht zur Reparatur, für die er bezahlen müsste, oder kauft sich gar ein neues. Für ihn ist so etwas Alltagspolitik, die das Wachstum der Wirtschaft ein klein wenig bremst. Paech beschreibt das so: „Wenn wir alle Produkte doppelt so lange nutzten wie heute, könnten wir die Herstellung halbieren.“
Theoretisch und praktisch arbeitet Paech daran, dieses Prinzip auf viele verschiedene Bereiche auszudehnen. Vor Jahren hat er beispielsweise in Oldenburg den Verschenkmarkt mitinitiiert. Dort kann man intakte, aber überflüssige Gebrauchsgegenstände abgeben, die sonst weggeworfen würden – Geschirr, alte Elektrogerät, Kleidung. Bedürftige Bürger erhalten umgekehrt kostenlos, was sie brauchen. Die ewige Spirale von Wegwerfen und Neukaufen wird an dieser Stelle durchbrochen und gleichzeitig Hilfe geleistet, indem Menschen die Nutzung von Produkten untereinander teilen.
Auf den ersten Blick will das alles mit unserem gewöhnlichen Leben nur schwer zusammenpassen. Wozu unternimmt der Ökonom diese Anstrengung eigentlich? Paech meint, dass „die Erde das permanente materielle Wachstum der Produktion nicht verträgt“. Das wurde ihm schon früh intuitiv klar. In seiner niedersächsischen Heimatstadt Schüttorf an der niederländischen Grenze war sein Vater in den 1960er Jahren Gewässerwart des Angelvereins. „Damals habe ich mehrere Fischsterben miterlebt“, berichtet der Ökonom – Industriebetriebe hatten wieder einmal ihre Abwässer in den Fluss Vechte entlassen.
Solche Probleme kommen zwar heute in Deutschland kaum noch vor, weltweit allerdings werde die Umwelt dafür umso mehr beansprucht. Um das Klima stabil zu halten, dürften die Deutschen pro Kopf und Jahr eigentlich nur 2,7 Tonnen Kohlendioxid verursachen – tatsächlich sind sie aber für elf Tonnen verantwortlich. Wenn man die notwendige Reduktion schaffen wolle, so lasse sich das nicht mit „grünem Wachstum“ - mehr Produktion bei weniger Energieverbrauch und Umweltverschmutzung – bewerkstelligen. Schließlich brauche man auch für vermeintlich sauberes Industriewachstum immer größere Mengen von Rohstoffen, deren Ausbeutung selbst wieder Umweltzerstörung verursache. Der einzige Ausweg, der sich laut Paech bietet, ist der Reduktion von Ansprüchen.
Ob diese These stimmt, lässt sich wegen der komplexen Zusammenhänge nur schwer berechnen. Unterstellt, sie träfe zu – was würde gesamtwirtschaftlicher Verzicht für uns bedeuten? Wenn die Wirtschaft infolge von Suffizienz und Subsistenz nicht mehr wüchse, sondern schrumpfte, würden weniger materielle Werte hergestellt, folglich gäbe es weniger Geld in Form von Löhnen, Gewinnen, Steuern und Sozialausgaben zu verteilen. Wir würden ärmer, bräuchten aber auch weniger Geld, weil wir weniger neue Produkte einkauften als früher. Wir könnten uns leisten, weniger zu arbeiten.
Niko Paech lebt in mancher Hinsicht etwas asketisch, trotzdem ist er ein munterer Typ. In zwei Bands spielt er Saxofon. Die eine heißt Matini Schmerzverstärker und macht eine Musik, die Paech als Postpunk bezeichnet. Die andere nennt sich Beelzebub Airlines und beschäftigt sich mit Freestyle Rock.
Paech unternimmt möglicherweise weniger Aktivitäten als andere Menschen. Was er tut, macht er jedoch intensiv. Er konzentriert sich auf sein lokales Umfeld, die Musik, die Literatur. Zu viel Konsum, Reizüberflutung und Hektik findet er „überfordernd und bedrohlich“. Er käme nie auf die Idee, ein iPhone oder iPad zu kaufen. Und gewinnt damit etwas sehr Wichtiges: Zeit.