Weniger Kleinstaaterei
Im Nahverkehr geht es endlich um die Kundenwünsche
26. Aug. 2022 –
Es kann so einfach sein: ein Fahrschein, überall einsteigen. Wenn das Neun-Euro-Ticket etwas gezeigt hat, dann, wie wohltuend das Ende der Kleinstaaterei im öffentlichen Nahverkehr ist. Wir wissen jetzt, dass viele erstmals in Busse und Bahnen eingestiegen sind. Dass die Bundesbürger sehr wohl ohne Auto an die Küste oder in die Berge fahren. Und dass sie gern ihre Fahrräder mitnehmen. Die Reaktion darauf kann nicht sein, die Mitnahme bis auf weiteres zu verbieten, weil kein Platz ist. Denn: Das Angebot des Dienstleisters ist schuld an der Enge, nicht der Kunde, der bitte alles hinzunehmen hat. Hier offenbart sich ein grundsätzliches Problem im öffentlichen Nah- und Fernverkehr.
Gut, das Ticket kam überraschend kurzfristig, niemand wusste genau, was passiert, Personal und Fahrzeuge sind knapp. Alles richtig und lässt sich mit etwas Vorlauf sicher verbessern, oder? Genug Ideen müssten die Anbieter seit Anfang Juni gesammelt haben. In den jetzt drei Monaten des Tickets ist erst einmal der Mangel verwaltet worden, vor allem in Nahverkehr auf dem Netz der Bahn. Doch selbst volle Züge haben die Menschen nicht abgehalten, wie dieses Wochenende wieder zu sehen war. Und dass in Deutschland jemand für den Nahverkehr demonstriert, kommt auch nicht alle Tage vor.
Leider geht es in der aktuellen Debatte darüber, wie ein Nachfolgeticket aussehen könnte, wieder vor allem um Geld. Wie billig muss es sein, damit es sich praktisch jeder leisten kann? Gar kostenlos? Wer zahlt dann für das Angebot an Bussen und Bahnen? Wie üblich rufen Städte, Gemeinden und Länder nach Geld aus Berlin. Die Idee des einheitlichen Tickets, das steht dahinter, ist schließlich auch eine der Bundesregierung gewesen. Glücklicherweise! Denn von den Trägern des Nahverkehrs kam in die Richtung bisher eher wenig. Und auch andere innovative Vorschläge vermisst man.
Jetzt könnte darüber nachgedacht werden. Aber wieder einmal werden grundlegende Fragen außer Acht gelassen, weil offenbar Politiker und vor allem Verkehrsunternehmen – gern im Eigentum einer Stadt – einfach davon ausgehen, dass vor allem der Preis wichtig ist. Nicht gefragt wird: Ist das System so, wie es ist, gut? Und, vor allem anderen: Was will der Kunde vom öffentlichen Transport? Und was wollen die, die noch nicht Kunden sind?
Es hakt ziemlich. Das fängt in Nahverkehrsverbünden bei der unübersichtlichen Tarifstruktur an, die nur versteht, wer jahrelang in der jeweiligen Region lebt. Es geht weiter mit Edelholzsitzen und gebürstetem Aluminium in Stadtbahnen, die schön aussehen, aber nichts zur Transportqualität des Systems beitragen, und endet nicht beim Bus, der an der Stadtgrenze stoppt, weil das nächste Wohngebiet leider in einer anderen Kommune liegt. Weitere Beispiele sind das seit Jahren rudimentäre Internet in Zügen, Orte ohne öffentliche Anbindung an Wochenenden – gern auch Ausflugsziele – oder das extrateure Ticket für die Fahrt zum Flughafen.
Diskutiert werden muss zunächst, wie wichtig der öffentliche Nah- und Fernverkehr uns wirklich ist, nicht nur auf den Strecken nach Sylt, Usedom oder Berchtesgaden. Auch wer öffentliche Verkehre anbietet und ob die bestehenden Strukturen noch zeitgemäß sind, sollte Thema sein. Erst am Ende ergibt sich, was das kostet und ob es uns das wert ist. Dann muss entsprechend investiert werden. Und ja, das kann zulasten der Straßen und des Autoverkehrs gehen. Dafür profitieren alle davon. Bis dahin darf es auch gern ein Ticket geben, dass bundesweit überall gültig ist. Es muss nur auch konkret etwas besser werden.