Weniger soll mehr sein
Was die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich bringt
13. Sep. 2023 –
Weniger arbeiten, mehr Zeit für sich selbst, Familie, Hobbys: Die Vier-Tage-Woche soll das bringen. Die IG Metall will sie in den Tarifverhandlungen für die Stahlarbeiter durchsetzen. Was bringt das Konzept? Und wer macht die ganze Arbeit? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Wie funktioniert die Vier-Tage-Woche?
Zugrunde gelegt ist immer die Regelarbeitszeit des Arbeitszeitgesetzes von 40 Stunden. Grundsätzlich gibt es drei Varianten der Vier-Tage-Woche. Die Arbeitszeit kann auf vier statt fünf Tage aufgeteilt werden. Der Arbeitstag hat dann zum Beispiel zehn Stunden statt acht. Schon jetzt ist es möglich, nur an vier Tagen zu arbeiten – in Teilzeit. Die Person verringert auf eine 80-Prozent-Stelle und bekommt auch nur 80 Prozent des Lohns. Variante drei, die die IG Metall verfolgt: Die Arbeitszeit auf 32 Stunden verkürzen – bei vollem Lohnausgleich.
Wie lange arbeiten die Bundesbürger derzeit?
Alle, die in Deutschland angestellt sind, haben im vergangenen Jahr im Schnitt 34,3 Stunden in der Woche gearbeitet, wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat. Erfasst sind Vollzeit und Teilzeitstellen, weshalb die Zahl niedrig wirkt. Wer eine Vollzeitstelle hatte, war genau 40 Stunden pro Woche im Einsatz, Teilzeitkräfte 21,2 Stunden. Viele Arbeitszeiten sind tariflich zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften geregelt: So gilt in der Stahlindustrie die 35-Stunden-Woche, in der Metallindustrie 35 Stunden (West) und 38 Stunden (Ost), im Öffentlichen Dienst sind es 39,4 und 39,6 Stunden. Für Teile der Deutschen Telekom gilt die 34-Stunden-Woche. Das Arbeitszeitgesetz setzt die Obergrenze im Wesentlichen bei 48 Stunden pro Woche.
Was bringt die Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich?
Verschiedene Studien zur Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zeigen: Die Produktivität steigt – die Beschäftigten schaffen mehr, obwohl sie weniger Zeit arbeiten. Sie sind zufriedener und gesünder, die Zahl der Krankentage sinkt. Deshalb kamen die Unternehmen finanziell gut oder sogar besser mit der Vier- zurecht als mit der Fünf-Tage-Woche. Weil die Menschen mehr Zeit haben, engagieren sie sich mehr ehrenamtlich. Weil sie weniger krank sind, werden die Sozialsysteme entlastet.
Was spricht gegen die Vier-Tage-Woche?
Ein Gegenargument: „Weniger zu arbeiten, verschärft den Arbeitskräftemangel, den wir bereits jetzt haben“, sagt Oliver Stettes, Spezialist für Tarifpolitik beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. „Und er wird noch dramatischer, wenn in den kommenden Jahren die geburtenstarken Babyboomer in Rente gehen.“ Experten glauben zudem, dass deutsche Firmen international weniger wettbewerbsfähig sind, wenn sich die Arbeitskosten je Stunde erhöhen. Zudem könnte die Zahl prekärer Beschäftigung, also schlecht bezahlter Personen zunehmen – irgendwer muss schließlich die Arbeit machen, die die regulär Beschäftigten nicht mehr schaffen. Unternehmen könnten also stundenweise gering bezahltes Personal beschäftigen.
Lässt sich die Vier-Tage-Woche umsetzen?
Grundsätzlich sind die Bundesbürger bereit, weniger zu arbeiten. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten nimmt seit Jahren zu. In einer Umfrage des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts WSI gaben 80 Prozent an, nur vier Tage arbeiten zu wollen. Drei Viertel aber nur, wenn sie weiter voll bezahlt werden. Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin, findet das „wenig überraschend“. Die Beschäftigten wählten lieber das höhere Einkommen – „und damit die Fünf-Tage-Woche“. Unklar ist, in welchen Branchen sich die Vier-Tage-Woche einführen lässt. An den Studien haben meist Dienstleister teilgenommen, wenig Produktions- oder Handelsbetriebe. Anders als die IG Metall hält die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi wenig von einer tariflichen Vier-Tage-Woche. Sie will sich auf deutliche Lohnerhöhungen konzentrieren.
Und in der Stahlindustrie?
„In der Stahlindustrie gilt die 35 Stunden Woche. Auf 32 Stunden zu verkürzen, bedeutet 8,5 Prozent weniger Arbeitszeit“, rechnet Oliver Stettes, Spezialist für Tarifpolitik beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln, vor. „Bei vollem Lohnausgleich müsste die Stundenproduktivität um mehr als neun Prozent steigen, damit auch für das Unternehmen etwas übrig bleibt. Ein solcher Wert ist unrealistisch.“ Auch für andere Branchen könnte es schwierig werden. Denn: Die Produktivität erhöht sich in Deutschland seit Jahren kaum noch, wie Stettes sagt. Zuletzt legte das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigenstunde nur um 0,5 Prozent zu.
Hat schon jemand das Konzept getestet?
Es gab bereits Versuche in Australien und den USA. Zuletzt testeten 61 Unternehmen in Großbritannien sechs Monate lang das Konzept – mit positiven Ergebnissen bei Umsatz und Mitarbeiterzufriedenheit. Beteiligt waren unter anderem Firmen aus der Finanzbranche, Informationstechnologie und dem Gesundheitswesen. In Deutschland soll ein solcher Versuch mit mehr als 50 Firmen am 1. Februar 2024 starten. Längere Tests stehen noch aus.
Warum macht die IG Metall das Thema zum Teil der Tarifverhandlungen?
Die größte Einzelgewerkschaft der Welt hat in Deutschland mehrfach neue Ansätze zum Teil der Tarifverhandlungen gemacht. So hat sie 1995 die 35-Stunden-Woche in der westdeutschen Metallindustrie durchgesetzt, was andere Branchen dann in Teilen übernommen haben. Mit der Metallrente hat sie 2001 erstmals eine neue Form der betrieblich-privaten Altersvorsorge angeschoben. Mit der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich setzt die Gewerkschaft wieder bei einer innovativen Idee an.