Wer Atomraketen baut

Europas verschwiegene Branche

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Von Björn Hartmann

21. Feb. 2024 –

In Europa wird wieder über Atomraketen diskutiert. Die Idee dahinter: Die Staatengemeinschaft soll sich stärker selbst schützen, sollten die USA sich aus dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis Nato zurückziehen. Bloß: Wer stellt die Raketen her? Wer die Sprengköpfe? Und gibt es überhaupt genug Kapazität, um einen europäischen Atomschutzschirm aufzubauen?

Zwei Länder in Europa verfügen über ein eigenes Arsenal von Atomwaffen: Frankreich und Großbritannien. Die Briten setzen ausschließlich auf Raketen, die von U-Booten aus gestartet werden können. Ähnlich halten es die Franzosen. Doch gut 20 Prozent der französischen Atomsprengköpfe sind auf Luft-Boden-Raketen montiert, die von Flugzeugen abgeschossen werden. Deutschland hat sich im Artikel 3 des Zwei-plus-Vier-Vertrags 1991 verpflichtet, auf Atomwaffen und deren Bau zu verzichten. Der Vertrag regelt das Ende des Besatzungsstatuts nach dem Zweiten Weltkrieg und die volle Souveränität Deutschlands.

Nach letzten Zahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri besitzen die Franzosen mehr als 290 Atomsprengköpfe, die Briten mehr als 225. Im Vergleich zu den großen Atommächten USA und Russland ist die nukleare Bewaffnung eher übersichtlich: Die USA verfügen Sipri zufolge über 5244 Sprengköpfe, Russland sogar über 5889.

Offizielle Auskünfte sind kaum zu bekommen, die Branche ist verschwiegen. Wer will schon Einzelheiten über seine taktischen Waffen nach außen geben? Während Rüstungsunternehmen manche Panzer, Flugzeuge und Geschosse ins Ausland verkaufen dürfen, sieht es bei den Trägerraketen für Atomsprengköpfe anders aus.

Grundsätzlich kann jedes Unternehmen, das Raketen baut, die ins All starten sollen, auch Raketen für atomare Sprengköpfe herstellen. Sie können sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden. Allerdings sind die Anforderungen an eine Atomrakete besonders hoch, vor allem wenn sie von einem U-Boot aus starten soll. Sie muss unter Wasser abgeschossen werden können, dann bis ins All aufsteigen, wieder zur Erde zurückkehren und mit einer Genauigkeit von 100 bis 200 Metern treffen.

Entsprechende Expertise hat in Europa die ArianeGroup mit Sitz südwestlich von Paris. Das Unternehmen hat unter anderem im Auftrag der europäischen Weltraumagentur ESA, die die Trägerrakete Ariane 5 gebaut und bereitet gerade Nachfolgerin Ariane 6 für den Erststart vor. ArianeGroup hat auch eine militärische Sparte, die für das französische Verteidigungsministerium federführend die M51 entwickelt hat. Die Rakete startet von U-Booten aus. Sie ist gut zwölf Meter lang und hat 2,5 Meter Durchmesser. Die Reichweite soll 11.000 Kilometer betragen.

ArianeGroup hat auch Standorte in Deutschland, die Rakete wird aber ausschließlich in Frankreich entwickelt, gebaut und gewartet. Beteiligt sind mehr als 900 ebenfalls französische Industrieunternehmen. 7000 Personen sind nach Angaben von ArianeGroup mit dem M51-Projekt beschäftigt. Das Unternehmen gehört je zur Hälfte dem europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern Airbus und dem französischen börsennotierten Flugzeug- und Raketenturbinenhersteller Safran.

Airbus ist auch mit 37,5 Prozent am zweiten französischen Raketenhersteller beteiligt: MBDA, ebenfalls mit Sitz südwestlich von Paris. Weitere Anteilseigner sind der britische Rüstungshersteller BAE Systems (37,5 Prozent) und die italienische Leonardo (25 Prozent). MBDA entwickelt und baut die die Raketen der französischen Luftwaffe, die atomare Sprengköpfe tragen. Die aktuelle Version ist etwa 5,5 Meter lang, hat einen Durchmesser von knapp 40 Zentimetern und eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern. Derzeit wird an einem Nachfolgemodell gearbeitet, beteiligt sind MBDA und ArianeGroup. Auch MBDA hat einen deutschen Ableger, der nichts mit der Entwicklung der Atomraketen zu tun hat.

Die Atomsprengköpfe liefert der militärische Teil des staatlichen französischen Forschungsinstituts CEA – kontrolliert vom Verteidigungsministerium. Die DAM genannte Abteilung sitzt unter anderem westlich von Bordeaux.

Großbritannien setzt auf Trident-Raketen des US-Herstellers Lockheed, der sie in Kalifornien baut. Eine solche zweistufige Interkontinentalrakete kostet geschätzt rund 30 Millionen Euro pro Stück. Sie wiegen etwa 59 Tonnen, sind 13,5 Meter lang und haben einen Durchmesser von etwas mehr als zwei Metern. Die Reichweite soll bei 12.000 Kilometern liegen.

Die Atomsprengköpfe stellt eine Firma im Besitz des britischen Verteidigungsministeriums in der zentralenglischen Grafschaft Berkshire her. In Aldermarston gut 65 Kilometer westlich von London entwickelt und fertigt Atomic Weapons Establishment (AWE) die Sprengköpfe. Im nahegelegenen Burghfield werden die Sprengköpfe montiert und auch zerlegt, wenn sie zu alt sind. Das Unternehmen beschäftigt rund 6000 Mitarbeiter.

Ob die Kapazitäten der Raketenhersteller ausreichen für einen atomaren europäischen Sicherheitsschirm ist unwahrscheinlich. Üblicherweise dauert es Jahre, neue Werke zu errichten. Und grundsätzlich muss die Politik entscheiden, ob ein solcher Schirm gewünscht ist. Danach sieht es trotz vieler Wortmeldungen bisher nicht aus.

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