Wer bezahlt das elektrische Nichts?

Kanzlerin Merkel verhandelt über die Energiewende

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Von Hannes Koch

02. Mai. 2012 –

Ein paradoxes Thema diskutieren gegenwärtig die Energiepolitiker in Deutschland: Künftig könnte Strom bezahlt werden, der weder produziert noch verbraucht wird. Gewissermaßen erhielte das Nichts einen Preis. Auch darum ging es am Mittwoch, als Kanzlerin Angela Merkel Vertreter der Energiewirtschaft empfing.

Die Situation sieht so aus: Rund 20 Prozent des Stroms stammen mittlerweile aus Wind, Sonne und anderen regenerativen Quellen. Weil deren Anteil künftig weiter stark steigen soll, sinkt die Auslastung der konventionellen Atom-, Kohle- und Gaskraftwerke, die bisher das Rückgrat der Elektrizitätsproduktion bildeten. Gleichzeitig ist Ökostrom wegen seiner Abhängigkeit vom Wetter aber nicht immer in notwendiger Menge vorhanden. Also braucht Deutschland zumindest für eine längere Übergangszeit fossile Reservekraftwerke, die man oft nicht braucht, die sich aber bei Bedarf schnell anschalten lassen.   

Deshalb lautet eine wichtige Frage: Wer bezahlt die Reservekraftwerke, wenn sie sich wegen ihrer zu geringen Auslastung nicht am Markt finanzieren können? Die Antwort interessiert beispielsweise die Unternehmen EnBW und Dong, die in Karlsruhe und im hessischen Mecklar-Marbach Erdgaskraftwerke errichten wollen. Nach Angaben des Bundesverbandes der Energiewirtschaft (BDEW) sind derzeit 19 Gaskraftwerke genehmigt, im Genehmigungsverfahren oder in Planung. BDEW-Geschäftsführerin Hildegard Müller sagt, einige der Unternehmen würden „die Wirtschaftlichkeit prüfen, weil die langfristige Amortisation“ fraglich sei.  

Das Problem wird dadurch verschärft, dass die vier Energiekonzerne E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW, sowie eine Reihe regionaler Versorger so viele fossile Kraftwerke planen und bauen wollen, dass Überkapazitäten entstehen könnten, die später irgendwer bezahlen muss.  

Auf ein Modell für die Finanzierung der fossilen Reservekapazitäten, den sogenannten Kapazitätsmarkt, haben sich Politik und Wirtschaft noch nicht geeinigt. Die grundsätzliche Idee findet jedoch Zustimmung auf vielen Seiten – etwa bei Franz Untersteller, dem grünen Umweltminister Baden-Württembergs. In einem Gutachten für das Bundeswirtschaftsministerium hat das Energiewirtschaftliche Institut der Uni Köln (EWI) unlängst vorgeschlagen, eine öffentliche Stelle, etwa die Bundesnetzagentur, könnte künftig fehlende Kapazitäten im Rahmen von Auktionen ausschreiben. Finanziert würde deren Bereitstellung mittels einer Umlage, die die Verbraucher zu tragen hätten.

Ähnliche Überlegungen existieren im Übrigen auch für die Nachfrageseite: Industrieunternehmen mit hohem Stromverbrauch – beispielsweise Aluminium- und Zementfabriken – könnten Geld dafür erhalten, dass sie ihre Produktion vorübergehend verlangsamen oder einstellen. Damit ließe sich Elektrizität sparen, wenn nicht genug hergestellt wird.

Das zweite große zu beackernde Feld ist der Netzausbau. Hier hakt es vor allem bei der Anbindung der neuen Windparks auf  Nord- und Ostsee an der Stromnetz an Land. Aktiv werden müsste vor allem der niederländische Staatskonzern Tennet, dem die entsprechenden Abschnitte des Stromnetzes gehören. Allerdings hat die Firma der Bundesregierung unlängst mitgeteilt, dass der Bau der notwendigen Leitungen ihre finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten übersteige.

Nun ist die Ratslosigkeit groß. Niedersachsen CDU-Ministerpräsident David McAllister hat öffentlich darüber nachgedacht, eine übergreifende Netzgesellschaft mit staatlicher Beteiligung zu gründen. Die jahrelang betriebene Privatisierung des Stromnetzes würde damit teilweise rückgängig gemacht.

Auch der Bau neuer Hochspannungsleitungen zum Austausch von Wind- und Solarstrom zwischen Nord- und Süddeutschland ist eine offene Baustelle. Wobei es hier immerhin bereits ein gültiges Gesetz und ein feststehendes Verfahren gibt. Ende des Monats reichen die großen Netzfirmen ihre Vorschläge bei der Bundesnetzagentur ein, wo aus ihrer Sicht neue Leitungen gebaut werden sollten. Dann wissen hunderte Bürgerinitiativen im ganzen Land, was sie in den kommenden Jahren zu tun haben.

Neben diesen Großbaustellen haben sich Merkel und die Firmenvertreter mit weiteren ungelösten energiepolitischen Fragen beschäftigt, die auch nicht ganz unwichtig sind. Wie geht es weiter mit der Förderung der Gebäudesanierung, welche Vorgaben macht man zur Erhöhung der Energieeffizienz, und wie steht es um die deutsche Solarindustrie?

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Kraftwerke der Zukunft
84 große Kraftwerke sind gegenwärtig in den unterschiedlichen Phasen von Bau oder Planung. Das hat gerade der Bundesverband der Energiewirtschaft (BDEW) ermittelt. Große Solarkraftwerke sind nicht darunter. Spitzenreiter sind die Erdgasanlagen mit 29 Projekten. Elf sind im Probetrieb oder Bau, weitere 13 genehmigt oder im entsprechenden Verfahren. Dann folgen mit 23 die Offshore-Windkraftwerke, wobei nur zwei im Bau sind, 19 genehmigt und zwei im Genehmigungsverfahren. Außerdem planen die Unternehmen 17 Kohlekraftwerke (13 mit Steinkohle, vier mit Braunkohle).

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