„Wer hart arbeitet, braucht Ruhepausen“

Zwei Wochen weniger Urlaub pro Jahr? Diese Forderung von Wirtschaftsverbänden sei verhängnisvoll, sagt Arbeitssoziologe Prof. Gerhard Bosch

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Von Hannes Koch

20. Aug. 2010 –

Hannes Koch: Wirtschaftsverbände fordern, dass die deutschen Arbeitnehmer auf ein bis zwei Wochen Urlaub pro Jahr verzichten sollten. Ist diese Forderung im internationalen Vergleich berechtigt?


Gerhard Bosch: Nein, absolut nicht. Die deutschen Beschäftigten haben nicht zu viele Urlaubstage.


Koch: Verglichen mit anderen Ländern liegen die einheimischen Arbeitnehmer aber in der Spitzengruppe.


Bosch: Das stimmt. Wer hart und effektiv arbeitet, braucht jedoch ausreichende Erholungszeiten.


Koch: Arbeiten die Leute bei uns härter als in anderen Staaten?


Bosch: Das kann man so pauschal nicht sagen. Aber die hohen Standards sind nicht vom Himmel gefallen. Die durchschnittlich 30 Urlaubstage in Deutschland sind gerechtfertigt durch gewaltige Steigerungen der Produktivität. Die Beschäftigten leisten heute viel mehr als früher, ihre Arbeit ist erheblich intensiver geworden. Und diese Tätigkeiten kann man nicht ohne ausreichenden Urlaub erledigen. In unserer Hochleistungsgesellschaft brauchen wir längere Ruhepausen. Sonst holen sich die Leute ihre Erholung während der Arbeitszeit.


Koch: Weniger Urlaub bedeutet geringere Arbeitskosten für die Unternehmen. Ist es notwendig, die deutschen Firmen konkurrenzfähiger zu machen?


Bosch: Nein, das Ausland beneidet uns um unsere Konkurrenzfähigkeit. Die deutschen Löhne sind in den vergangenen Jahren kaum gestiegen, die Arbeitskosten im Vergleich zum Wert der produzierten Waren sogar gesunken. Deshalb exportiert Deutschland viel mehr als es importiert. Eine Lohnsenkung von 4,6 Prozent pro Jahr – darauf würde die Urlaubskürzung hinauslaufen – ist nicht notwendig.


Koch: Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hätte diese Lohnsenkung?


Bosch: Erstens wäre sie Gift für die Konjunktur. Die Beschäftigten würden ja für das gleiche Geld mehr arbeiten. Die Unternehmen bräuchten deshalb weniger Leute. Sie würden entweder Stellen streichen oder keine neuen Beschäftigten einstellen. Das Ergebnis: Die Binnennachfrage sänke, der Aufschwung geriete in Gefahr. Und zweitens wäre die Urlaubskürzung eine Absage an die solidarischen Lösungen, die wir in der Wirtschaftskrise praktiziert haben. Es geht darum, die Arbeit auf mehr Menschen zu verteilen. Noch haben wir 800.000 Beschäftigte in Kurzarbeit und drei Millionen Arbeitslose. Denen machte die Urlaubskürzung das Leben schwerer, weil sie schlechter eine neue Stelle fänden.


Bio-Kasten

Gerhard Bosch (62) ist Professor für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen und leitet das dortige Institut für Arbeit und Qualifikation.


Info-Kasten

Urlaub im Vergleich

Der gesetzliche Mindesturlaub in Deutschland beträgt 24 Werktage (für Beschäftigte, die von Montag bis Samstag arbeiten) oder 20 Arbeitstage (Montags- bis Freitagsarbeit). Damit liegt Deutschland hinter vergleichbaren Ländern wie Frankreich (30), Finnland, Schweden und Dänemark (jeweils 25) und etwa auf gleicher Höhe mit Österreich, Schweiz und Großbritannien. Beim tatsächlich bezahlten und auf den tariflichen Vereinbarungen beruhenden Durchschnittsurlaub allerdings ist Deutschland mit den skandinavischen Ländern und Holland in der Spitzengruppe. Das Institut für Arbeitsmarktforschung der Bundesagentur gibt den durchschnittlichen Jahresurlaub 2009 mit 30,9 Tagen an.


Grafik

Gesetzliche Urlaubstage im Vergleich

http://www.oecd-ilibrary.org/social-issues-migration-health/gesellschaft-auf-einen-blick_2077558x;jsessionid=1wrdru6sa6hoo.delta, S. 43

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