Wie der Krieg die Wirtschaft trifft
Deutschland muss sich neu orientieren
20. Feb. 2023 –
Russlands Angriff auf die Ukraine und die darauf folgenden Sanktionen haben die Weltwirtschaft seit Februar 2022 stark getroffen. Doch nicht alle Länder sind gleich belastet. Manche profitieren von den Folgen des Krieges – in Teilen sogar Deutschland.
„Wegen des Ukraine-Kriegs und der Sanktionen dürfte die Weltwirtschaft grob um einen knappen Prozentpunkt weniger wachsen“, sagt Klaus-Jürgen Gern, Leiter internationale Konjunkturprognose beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel. „Bei den fortgeschrittenen Volkswirtschaften in Europa sind es eher 1,5 bis zwei Prozentpunkte.“
Hauptproblem für viele Länder waren die steigenden Energiepreise. Russland gehört zu den größten Öl- und Gasexporteuren der Welt. Die gelieferten Mengen ließen sich nur schwer in anderen Ländern bekommen. Entsprechend teurer wurden Gas und Öl. Auch herrschte eine gewisse Panik, was die Preise zusätzlich trieb.
Russland wie die Ukraine sind große Getreideexporteure, auf die besonders ärmere Regionen der Welt angewiesen sind. Der Krieg und seine Folgen habe auch die Preise von Getreide steigen lassen, sagt Gern. „Das trifft arme Länder besonders, aber auch einige europäische Staaten, in denen die Menschen für Nahrungsmittel 25 Prozent und mehr ihres Einkommens ausgeben.“
Vor allem westliche Staaten verhängten Sanktionen gegen Russland. „Entscheidend ist, dass Russland seine Importnachfrage nicht erfüllen kann, dass bestimmte Bauteile nur schwer und nicht in ausreichender Menge zu bekommen sind. Das betrifft auch Konsumgüter“, erklärt IfW-Konjunkturexperte Gern. Vor allem hochwertiges Material fehlt, besonders Halbleiter und Steuerungselektronik.
So hält die staatliche russische Fluggesellschaft Aeroflot nur noch einen Teil ihrer Airbus-Maschinen in der Luft, weil sie andere als Ersatzteillager benutzen muss. Der Autohersteller Lada liefert Fahrzeuge jetzt ohne ABS und Airbag aus. „Die russische Wirtschaft wird primitiver“, heißt es beim Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft. Das hat auch damit zu tun, dass Fachkräfte das Land verlassen. Allein 100.000 IT-Fachkräfte verabschiedeten sich 2022 nach offiziellen Kreml-Zahlen.
Viele russische Unternehmen versuchen, Teile über andere Länder zu beschaffen, wenn sie sie direkt im Westen nicht bekommen, etwa über China, Indien, Kasachstan, die Türkei. Das dauert und kostet deutlich mehr als früher, wie ein Beobachter sagt. Für die russischen Firmen seien die Mengen nicht kalkulierbar, ebenfalls nicht, ob die richtigen Teile kämen. Garantien gebe es auch nicht, etwa für Iphones des US-Herstellers Apple, die oft durch die Hände von mehreren Zwischenhändlern liefen. Sie verlangten auch deutliche Preisaufschläge – wegen des Risikos und weil der Bedarf in Russland hoch sei.
Auch Bezahlen ist komplizierter. Seit viele russische Banken vom internationalen Zahlungsinformationsdienst Swift ausgeschlossen sind, laufen Finanzgeschäfte oft über Kasachstan. Das Land gehört dem russischen Wirtschaftsraum an, grenzt sich aber etwas ab. Und natürlich lassen sich kasachische Finanzdienstleister den Service extra bezahlen.
Die westlichen Energiesanktionen treffen Russland empfindlich, weil 40 Prozent der Einnahmen aus dem Rohstoffexport stammen. Europa nimmt kaum noch Gas ab, kein Öl, keine Ölprodukte wie Diesel. Und auch der Ölpreisdeckel der EU lässt sich offenbar nicht so einfach umgehen. Europäische Versicherer dürfen keine Tanker mehr versichern, die russisches Öl transportieren, dass für mehr als 60 Dollar je Fass (159 Liter) verkauft wird. Derzeit liegt der Weltmarktpreis für russisches Öl sogar darunter, unter anderem weil vor allem China, Indien und die Türkei den Rohstoff zwar abnehmen, aber auf hohe Rabatte bestehen. Russland benötig geschätzt 70 Dollar je Fass, um genug einzunehmen.
Angeblich nutzt Russland eine Schattenflotte aus Uralttankern, die nicht versichert sind, um sein Öl doch noch zu liefern. Auch soll das Öl mehrfach umgeladen werden, um die Quelle zu verschleiern. Zudem setzt der Kreml offenbar auf iranische Tanker, um doch noch Öl zu verkaufen. Dennoch: Russland will die Produktion drosseln.
Weil die Rohstoffeinnahmen sinken, die Kriegsausgaben aber steigen, steckt der russische Staatshaushalt seit Dezember tief in den roten Zahlen. Allein das Minus von umgerechnet 23 Milliarden Euro im Januar entspricht schon 60 Prozent des für das Gesamtjahr geplanten Defizits. Grund sind dem Staat zufolge um 59 Prozent höhere Ausgaben, wohl vor allem für den Krieg. Gleichzeitig brachen die Einnahmen um 46 Prozent ein. Der Staat ging deshalb an seine Reserven, verkaufte Gold und chinesische Yuan. Trotz aller Probleme: Der Internationale Währungsfonds IWF erwartet jetzt, dass die Volkswirtschaft 2023 um bis zu 0,3 Prozent wächst – eine Folge der Kriegsindustrie. Noch im Herbst rechnete er mit einem Minus von 2,3 Prozent.
Russland gehörte zu den wichtigen Handelspartnern Deutschlands. Aus Russland kamen Rohstoffe, geliefert wurden vor allem Maschinen, jetzt sind es pharmazeutische und landwirtschaftliche Produkte, die nicht sanktioniert sind. Als Folge der Sanktionen halbierte sich der Wert der Ausfuhren nach Russland 2022 fast. Für Einfuhren aus Russland zahlte Deutschland insgesamt 6,5 Prozent mehr – wegen der hohen Energiepreise. Russland rutschte von Rang 13 der Außenhandelspartner auf Rang 16 ab.
Für Deutschland bedeuteten die Sanktionen und die Folgen vor allem ein Ende der billigen Energie und der Abhängigkeit von Russland. Deutschland ermöglichte binnen eines Jahres drei schwimmende Terminals für Flüssiggas. „Die Bundesrepublik hat sich mehr dem Weltmarkt geöffnet“, sagt Timm Kehler, Geschäftsführer des Branchenverbands Zukunft Gas. Noch 2021 bezog die Bundesrepublik rund 55 Prozent des Gases aus Russland, jetzt ist es praktisch nichts.
So hat Norwegen Russland als wichtigsten deutschen Gaslieferanten abgelöst. Die Skandinavier sind per Pipeline mit Deutschland verbunden und liefern nach Angaben von Zukunft Gas derzeit rund ein Drittel des deutschen Verbrauchs. Perspektivisch werden dem Verband zufolge die USA wichtiger – wegen der vielen Flüssiggas-Terminals und der besonders flexiblen Förderung.
„Der Krieg war ein Weckruf. Er hat den Umbau der deutschen Energieversorgung weg von fossilen hin zu Erneuerbaren Energien beschleunigt“, sagt IfW-Konjunkturforscher Gern. „Das löst auch Innovationen aus. In fünf Jahren werden wir weiter sein als ohne den Schock des Krieges.“ Dazu zählen eine Flüssiggas-Infrastruktur, Wasserstoff-Technologie und schnellere Verfahren. Die Kehrseite: „Die enormen Investitionen in den Energiesektor und die Verteidigung fehlen letztlich woanders.“