Wie der Mindestlohn wirkt

Viele Beschäftigte im Einzelhandel und in Callcentern hätten Vorteile

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Von Hannes Koch

28. Feb. 2013 –

Eine einheitliche Lohnuntergrenze von mindestens 8,50 Euro – das wird am Freitag wohl der Bundesrat beschließen. Kein Beschäftigter in Deutschland dürfte dann weniger verdienen. So wollen es sieben SPD-regierte Bundesländer unter der Führung von Rheinland-Pfalz. Von Mindestlöhnen profitieren würden Millionen Beschäftigte, unter anderem im Einzelhandel und in Callcentern.


Auch die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), der Sozialflügel der CDU, sieht diese beiden Branchen als Beispiele, bei denen Verbesserungen notwendig sind. CDA-Chef Josef Laumann beruft sich dabei auf einen Beschluss des Leipziger CDU-Parteitages vom November 2011. Darin heißt es, neue Lohnuntergrenzen müssten definiert werden, wenn die Arbeitnehmer durch Tarifverträge nicht geschützt seien. Beim Einzelhandel und in den Callcentern ist das teilweise der Fall.


Für die Geschäfte, Supermärkte und Discountfilialen des Einzelhandels existieren zwar regionale Tarifverträge, die die Gewerkschaft Ver.di mit dem Handelsverband Deutschland (HDE) abgeschlossen hat. Auch Lohnuntergrenzen haben die Tarifpartner vereinbart – in Schleswig-Holstein beispielsweise 7,50 Euro, in Baden-Württemberg 9,26 Euro pro Stunde. Doch dieser Mindestlohn ist nicht allgemeinverbindlich: Unternehmen, die nicht Mitglied im HDE sind, müssen ihn nicht zahlen.


Bei Discountern und Supermärkten arbeiten beispielsweise heute viele Beschäftigte, die Regale ein und ausräumen - im Auftrag externer Firmen. Nur für einen Teil dieser Betriebe gilt aber der Tarifvertrag zwischen dem Arbeitgeberverband der Logistik-Dienstleister (ILS) und der sogenannten Christlichen Gewerkschaft DHV, die in Konkurrenz zu Ver.di steht. Manche Firmen ohne Tarifvertrag zahlen deshalb weniger als sechs Euro brutto pro Stunde. Um so etwas zu verhindern, bietet ILS-Geschäftsführer Denis Henkel der Gewerkschaft Ver.di an, über einen neuen Mindestlohn-Tarifvertrag zu verhandeln. Ver.di allerdings lehnt ab, weil man die Löhne in den Logistikfirmen für indiskutabel niedrig hält.


Selbst in etablierten Einzelhandelsunternehmen gibt es nach Informationen von Ver.di mittlerweile Schlupflöcher für die Tarifflucht. So übergebe Edeka viele Geschäfte aus dem Konzernverbund an selbstständige Kaufleute. Nach einiger Zeit laufe dann die tarifliche Bindung des HDE-Ver.di-Tarifs aus. Das Ergebnis: Viele Beschäftigte würden schlechter bezahlt, als die Lohnuntergrenze des Tarifvertrags vorsehe, so die Gewerkschaft.


Ein weiteres Beispiel bilden die Callcenter, die für viele Unternehmen die Anrufe von Kunden abwickeln. Ein flächendeckender, allgemeinverbindlicher Tarifvertrag existiert hier ebenfalls nicht. Wie die Beschäftigten vieler großer Anbieter der Branche genießen auch die Arbeitnehmer der Bertelsmann-Tochter Arvato keinen tarifvertraglichen Schutz. Dementsprechend liegen die untersten Löhne dort zwischen sieben und 7,50 Euro. Arvato stehe der Einführung eines Mindestlohns durch die Politik aber offen gegenüber, wenn er für alle Anbieter gleiche Bedingungen schaffe, sagte ein Sprecher des Unternehmens.


Wie die Politik mit solchen Angeboten umgeht, muss sich noch herausstellen. Den 8,50-Euro-Bundesratsbeschluss lehnen Union und FDP ab. Die Regierungskoalition will keine gesetzliche Regelung für die gesamte Wirtschaft. Stattdessen plädiert sie für flexible Lösungen, die die Tarifpartner der einzelnen Wirtschaftszweige aushandeln sollen. Wie das genau ablaufen könnte, weiß die Koalition aber selbst noch nicht. Zu einem Kompromiss, der zu einem Gesetz über den Mindestlohn führt, wird es vermutlich erst nach der Bundestagswahl kommen.

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