Wie man Menschenrechte macht

Anwälte erstatten Anzeigen gegen deutsche Unternehmen, um sie international zur Einhaltung der Menschenrechte zu zwingen

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Von Hannes Koch

02. Dez. 2013 –

Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt/ Main kommt voran. Stellungnahmen von vier Zeugen hat sie mittlerweile eingeholt. Es geht um die Frage, ob Beschäftigte des Ingenieurkonzerns Lahmeyer International GmbH aus Bad Vilbel eine Mitverantwortung dafür tragen, dass rund 4.700 Bauernfamilien im Sudan durch Hochwasser des Nils aus ihren Dörfern vertrieben wurden.

 

Zeugin Valerie Hänsch, Ethnologin der Universität Bayreuth, hat das Drama 2008 und 2009 persönlich vor Ort im Sudan verfolgt: „Die Familien vom Volk der Manasir waren überrascht und schockiert, wie schnell das Wasser stieg. Sie waren nicht über den Zeitpunkt des Aufstaus informiert.“ Der Vorwurf gegen die Lahmeyer-Mitarbeiter lautet, dass sie den neuen Staudamm am Nil geschlossen hätten, ohne die betroffene Bevölkerung angemessen vorzuwarnen. Formuliert hat die Anzeige Miriam Saage-Maaß vom ECCHR (European Center für Constitutional and Human Rights), einer juristischen Menschenrechtsorganisation in Berlin. Theoretisch sieht das Gesetz für solche Vergehen ein Strafmaß bis zu drei Jahren Gefängnis vor.

 

Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun seit mehr als einem Jahr. Befragt wurden Zeugen beider Seiten, zuletzt eine Mitarbeiterin der Vereinten Nationen, die die deutsche Botschaft in der sudanesischen Hauptstadt Khartoum 2007 auf die Gefahr des steigenden Wassers infolge des Baus des Merowe-Staudamms unter Beteiligung von Lahmeyer hinwies. All das ist keine einfache Aufgabe für die Staatsanwaltschaft: Wie soll man genau recherchieren, was vor fünf Jahren in afrikanischen Dörfern passierte? Unter anderem aus solchen Gründen haben deutsche Staatsanwälte bisher wenig Interesse, komplizierte Fälle von Unternehmenshandeln im Ausland zu untersuchen.

 

Das Verfahren gegen Lahmeyer ist deshalb eine Rarität. Aber es zeigt: Deutsche Unternehmen müssen sich inzwischen mehr Gedanken darüber machen, welche Auswirkungen ihr Handeln auf Menschen in anderen Teilen der Welt hat – auch wenn diese sehr weit entfernt leben. Das kann Baukonzerne ebenso betreffen wie beispielsweise C&A oder KiK, die in asiatischen Zulieferfabriken Textilien fertigen lassen. Nicht ausgeschlossen ist es, dass sich deutsche Gerichte bald auch mit der Frage beschäftigen, welche Verantwortung Bekleidungskonzerne für die Zustände in den Fabriken Pakistans oder Bangladeschs haben.

 

Recht ist einerseits etwas Statisches. In Gesetzen ist es niedergeschrieben. Aber es wird auch interpretiert und entwickelt sich weiter. AnwältInnen versuchen, neue Rechtsnormen zu etablieren oder bestehende mit neuen Inhalten zu füllen. Im Fall Lahmeyer geht es um den Begriff der „Sorgfaltspflicht des ordentlichen Kaufmanns“. Diesen gibt es bereits im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, etwas abgewandelt auch im Strafgesetzbuch. Aber Juristin Saage-Maaß versucht ihn aufzuladen.

 

Das geht so: Die Menschenrechtsanwälte schauen in Regelwerke wie die „Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte“ der Vereinten Nationen. Dort steht, dass auch Unternehmen Verantwortung dafür tragen, in ihrem Einflussbereich die Menschenrechte zu respektieren. Aus diesen zwar verbindlichen, aber international schwer durchzusetzenden „weichen“ Normen versuchen die Juristen „harte“ nationale Normen zu schmieden. Den deutschen Rechtsbegriff der „Sorgfaltspflicht“ interpretieren sie beispielsweise so, dass er auch die Menschenrechte der Nilanwohner umfasst. Und dann erstatten sie Anzeige in Deutschland.

 

Der Frankfurter Anwalt Eberhard Kempf, der einen der Lahmeyer-Mitarbeiter vertritt, gab bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme ab. Das Ingenieur-Unternehmen wies die Vorwürfe in früheren Gesprächen mit der taz zurück.

 

Die Arbeit an konkreten Fällen ist das Eine. Gleichzeitig versuchen die Menschenrechtsanwälte, ihre Ideen dort zu verankern, wo die Gesetze gemacht werden – in Parlament und Bundesregierung. Das war Thema bei einer Tagung über „Menschenrechtsklagen gegen Unternehmen“, die unter anderem ECCHR und die Entwicklungsorganisationen Südwind Ende November in Berlin veranstalteten. Die Organisationen fordern von der Politik, das Prinzip der Sorgfaltspflicht im deutschen Recht zu stärken und bessere Möglichkeiten für juristische Klagen von Menschen zu schaffen, die vom Handeln deutscher Unternehmen betroffen sind.

 

Einstweilen sind oft Umwege erforderlich. So kümmert sich Saage-Maaß auch um die Opfer eines Fabrikbrandes in Pakistan im September 2012. Damals starben über 200 Arbeiterinnen, die unter anderem für den deutschen Textildiscounter KiK arbeiteten. „Wir unterstützen das Ermittlungsverfahren in Pakistan“, sagt Saage-Maaß, „die Rolle von KiK für den Brand sollte ermittelt werden“.

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