„Wir bauen in jedem Fall weiter“
Über 500 Energie-Genossenschaften liefern inzwischen Elektrizität aus Bürgerhand
19. Jul. 2012 –
Die Energiewende ist mehr als die Produktion von Strom mittels neuer Technik. Dahinter verbirgt sich auch eine gesellschaftliche Umgestaltung. Mehr als 500 Energie-Genossenschaften stellen mittlerweile Elektrizität her, gab der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband am Donnerstag bekannt. So sehe Stromproduktion „in der Hand der Bürger“ aus, sagte DGRV-Vorstand Eckhard Ott.
Vor allem in den letzten Jahren kamen viele Genossenschaften hinzu. 2011 waren es rund 180, 2010 etwa 120. Rund 80.000 Bürger beteiligen sich bundesweit an diesen Firmen, von denen rund die Hälfte im Verband organisiert ist. Einer Umfrage des DGRV zufolge schätzen die Mitglieder besonders die Möglichkeit der demokratischen Willensbildung, die dieser Unternehmensform innewohnt. Grundsätzlich hat jeder Anteilseigner eine Stimme.
So kann man unter anderem im bayerischen Grafenwöhr beobachten, was die Energiewende bedeutet. „Wir machen die industrielle Revolution des 21. Jahrhunderts“, sagt Helmut Amschler, CSU-Mitglied und Vorstand der Stadtwerke Grafenwöhr. Zusammen mit 18 Bürgermeistern der Oberpfalz hat er in den vergangenen Jahren zwei Energie-Genossenschaften gegründet, die vor allem Solarkraftwerke finanzieren und betreiben. Knapp 1.000 Einwohner der Region beteiligen sich mit Anteilen von mindestens 500 Euro.
Der Charme scheint vor allem darin zu bestehen, dass man weniger Strom vom Konzern E.ON und seinen Ablegern kaufen muss. „Damit bleiben die Wertschöpfung und auch die Erträge in unserer Region“, sagt Amschler. Die Genossenschaften besorgen sich die benötigten Kredite bei den örtlichen Volksbanken, beauftragen Baufirmen und Handwerker aus der Nachbarschaft und werden die erhoffte Rendite an die Mitglieder auszahlen. Regionale Wirtschaftsförderung und Selbstbestimmung gehen Hand in Hand.
Aber ist die Ansage der demokratischen Energieproduktion nicht etwas hochgeschraubt? Bundesweit können die Genossenschaften erst 222 Megawatt Strom liefern. Das sind 0,4 Prozent der Menge, die die erneuerbaren Energien insgesamt höchstens bereitstellen.
Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man die Besitzverhältnisse an den Öko-Kraftwerken, die mittlerweile bis zu 20 Prozent des deutschen Strombedarfs decken, im Zusammenhang betrachtet. Zahlen der Agentur für Erneuerbare Energien zufolge, die vom Bundesumweltministerium unterstützt wird, sind 51 Prozent der regenerativen Anlagen in der Hand von Privatleuten und Bauern. Diese können etwa 26.500 Megawatt Spitzenleistung liefern, soviel wie 26 Atomkraftwerke. Einen Teil dieser demokratischen Produktionsstruktur bilden die Genossenschaften. Die andere knappe Hälfte der Ökostromproduktion gehört größeren Energieversorgern, Banken und Projektentwicklern. Die vier großen Stromkonzerne kommen nur auf 6,5 Prozent.
„Wir sind erst ganz am Anfang“, sagt Stadtwerke-Vorstand Amschler. Und er fügt hinzu: „Unabhängig von jeder Senkung der Einspeisevergütung für Ökostrom bauen wir weiter.“ In jedem Fall sei die „Eigenstromproduktion finanziell interessant“. Wenn sich die Investitionskosten der kleinen Kraftwerke amortisiert hätten, stelle man die Elektrizität billiger her, als externe Lieferanten sie verkaufen würden.