Wüstenstrom ist auch ein Friedensprojekt

Kommentar zu Desertec von Hannes Koch

Teilen!

Von Hannes Koch

13. Nov. 2012 –

Die Idee ist groß. Vielleicht so groß, dass sie vorläufig an der Realität scheitert. Was aber nicht bedeutet, dass man sie aufgeben sollte. Denn der Grundgedanke ist plausibel: Europa und Nordafrika bauen ein gemeinsames Energienetz auf, das das Mittelmeer überbrückt. Billige Solarenergie aus der Sahara würde nach Norden fließen. Die Bürger Europas hätten einen Nutzen ebenso wie die Staaten Afrikas, die über ein neues Exportprodukt verfügten.


Das hält Bosch Rexroth nun nicht davon ab, die Reißleine zu ziehen. Und Siemens will wegen der schwierigen Lage der Solarindustrie seine Sonnenenergiesparte gleich ganz verkaufen. Ist damit auch das ambitionierte Desertec-Projekt tot? Nein, keineswegs.


Das Vorhaben hat mehrere Dimensionen. Für die deutsche Wirtschaft stellt es eine Möglichkeit dar, in Afrika neue Märkte zu bedienen. Die arabischen Staaten denken daran, dass ihre Erdgas- und Ölvorräte irgendwann zu Ende gehen. Da kann es vorteilhaft sein, das verbleibende Erdöl teuer ins Ausland zu verkaufen und selbst billig produzierte Ökoenergie zu verbrauchen.


Aber wäre es sinnvoll, einen Teil der in Europa benötigten Ökoenergie aus der Sahara zu importieren? Das ist fraglich, denn beispielsweise in Deutschland nimmt die Produktion von Solar- und Windstrom schneller zu als geplant. Vielen Bürgern geht es nicht nur um den sauberen Strom, sondern auch um die Demokratisierung der Energieversorgung. Millionen Leute können sich Solaranlagen auf die Dächer schrauben oder an Windparks beteiligen. Wüstenstrom ernten dagegen wieder nur die Konzerne. Außerdem mag es Milliarden Euro Kosten sparen, den Strom in Europa herzustellen und hier auch gleich zu verbrauchen. Auf die gigantischen Investitionen für teure Kabel aus Nordafrika kann man dann verzichten.


Andererseits lassen sich die Netzkosten vielleicht dadurch kompensieren, dass die Kraftwerke in der Wüste deutlich effektiver arbeiten, als Solarmodule in Deutschland. Ob dieser bislang theoretische Vorteil allerdings in die Realität umgesetzt wird, hängt von zahlreichen Rahmenbedingungen ab. Die meisten sind politisch bisher nicht geklärt. Wer bezahlt die Investitionen für die Leitungen? Wann sind die Wüstenkraftwerke konkurrenzfähig? Wer finanziert bis dahin die Subventionen?


Einen Vorteil hätte ein erfolgreiches Desertec-Projekt aber in jedem Fall. Es würde die islamischen und christlichen Staaten näher zu einander bringen. Es ist ein Friedensprojekt zur Überwindung kultureller Missverständnisse. Auch die Europäische Union entstand nach dem Zweiten Weltkrieg aus der der Keimzelle wirtschaftlicher Kooperation.

« Zurück | Nachrichten »