Zahnarzttermine häufig erst wieder 2011

Zoff um Budgetüberschreitung / Lage in den einzelnen Ländern unterschiedlich

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Von Wolfgang Mulke

02. Nov. 2010 –

Viele Kassenpatienten warten in diesem Jahr vergeblich auf einen Termin bei ihrem Zahnarzt. Da das Honorarbudget für die Behandlung bei einigen Krankenkassen bereits erschöpft ist, verschieben viele Praxen größere oder teurere Behandlung auf den Januar. Darauf machte die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) aufmerksam.  Besonders betroffen sind Mitglieder der AOK. Gesetzlich Versicherte müssten in fast allen Ländern mit Einschränkungen bei der Versorgung rechnen, kündigte KZBV-Chef Jürgen Fedderwitz an. Die Situation ist jedoch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Eines wird jedoch überall gewährleistet. Wer Schmerzen hat, bekommt sofort einen Termin.

 

In Sachsen müssen sich vor allem Mitglieder der Bergbau-Krankenkasse Knappschaft auf Wartezeiten einstellen. „Wir halten Zahnärzte an, verschiebbare Leistungen und umfangreiche Behandlungen auf den Januar zu terminieren“, gibt der Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) des Freistaates, Holger Weißig, zu. Die Knappschaft bezahle 100,99 Euro pro Mitglied und Jahr. Da sei es nicht zumutbar, nach einem erschöpften Budget noch 400 Euro teure Behandlungen auf eigene Rechnung vorzunehmen. „Wir können von niemanden verlangen, dass er Geld mitbringt“, sagt Weißig.  

 

Die KorrespondentenIn Brandenburg haben zwei Kassen Probleme mit ihrem Budget: die BKK VBU und die Knappschaft. Zum Jahresende werden hier jeweils rund 450.000 Euro fehlen. Versicherte der ehemaligen AOK Brandenburg müssen sich keine Sorgen machen. „Sie sind von der horrenden Budgetüberschreitung bei der ehemaligen AOK Berlin nicht betroffen“, sagt KZV-Vorstandsmitglied Rainer Linke. Trotz der Überschreitung sei die notwendige Versorgung sichergestellt. „Es kann jedoch sein, dass nicht dringende Behandlungen auf das nächste Jahr verschoben werden“, so Linke.

 

In Hessen bekommen Patienten die Budget-Engpässe wohl nicht zu spüren. „In diesem Jahr werden 12 bis 13 Millionen Euro fehlen“, schätzt Jörg Pompetzki, der Sprecher der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) des Landes, die Lage ein. „Die Ärzte arbeiten ohne Honorar“, erläutert er. Dies sei schon seit etlichen Jahren der Fall. Auch im vergangenen Jahr habe es Engpässe gegeben: Es fehlten 14 Millionen Euro.

 

Niedersachsens Zahnärzte sehen keine zugespitzte Lage am Jahresende. „Vielmehr besteht das Budgetproblem das ganz Jahr über“, erläutert der Chef der zuständigen KZV in Hannover, Jobst Carl. Anders als etwa in Bayern oder Berlin müsse jeder Vertragszahnarzt müsse seinen Etat ständig im Auge behalten, weil sonst Honorarabschläge von bis zu 70 Prozent drohten. Die nun anderswo befürchteten Leistungseinschränkungen gebe es in Niedersachsen deshalb durchgängig. Die KZV kritisiert, dass die einmal festgesetzten Budgets nie an das veränderte Verhalten der Patienten angepasst wurde. Zusätzliche und kostspieligere Zahnarztbesuche werden bei der Bemessung der Honorare wie anderswo auch in Niedersachsen nicht berücksichtigt.

 

In Rheinland Pfalz schätzt die Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZV) das Minus durch die Überschreitung des Budgets auf rund acht Millionen Euro. „Aufschiebbare Leistungen werden verschoben“, betonte KZV-Chef Helmut Stein. Die Einschränkungen betreffen alle Kassenarten, aber insgesamt nur wenige Kassen. Stein kritisiert, dass die Strukturveränderungen bei den Mitgliedern der Krankenkassen bei der Bemessung des Budgets nicht berücksichtigt werden. Durch die noch jungen Wechselmöglichkeiten hat sich die Zusammensetzung der Versicherten in den letzten Jahren geändert. Das hat auch Folgen für die anfallenden Behandlungskosten.

 

Im Nordrhein beklagen die Zahnärzte herbe Einbußen durch nicht mehr vergütete Behandlungen. „Die Honorarverluste sind schmerzlich“, sagt KZV-Sprecher Uwe Neddermeyer, der von einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag spricht. Dennoch wird laut KZV kein Patient in die Warteschleife geschickt. Denn Ärzte und AOK haben sich darauf geeinigt, dass beide Seiten etwa die Hälfte des Fehlbetrages übernehmen. Neddermeyer beklagt, dass der Budgetrahmen aus den neunziger Jahren stammt. Damals hätten AOK-Mitglieder durchschnittlich weniger gekostet als heute. Deshalb fordert die KZV von der Politik eine Veränderung oder Abschaffung des festgelegten Etats.

 

„Auch in Westfalen-Lippe gibt es etliche Kassen, wo das Budget überschritten wird“, räumt der Sprecher der zuständige KZV, Manfred Sietz, ein. Nach seinen Angaben fehlen zwischen fünf und zehn Millionen Euro. Ein internes Verrechnungssystem sorgt aber dafür, dass auch Patienten von Kassen behandelt werden, deren Etat bereits ausgeschöpft worden ist. „Wenn überhaupt Termine verschoben werden, dann weil sie knapp sind“, sagt Sietz. Oft kommen zum Jahresende besonders viele Patienten in die Praxen, weil sie sonst den Anspruch auf eine Bonus bei der Zuzahlung bin Zahnbehandlungen verlieren. Wer dringend auf den Behandlungsstuhl muss, wird laut KZV auch noch einen Termin erhalten.

 

In Baden-Württemberg ist vor allem bei der AOK die Lage dramatisch. „Es wird sicher so sein, dass Behandlungen verschoben werden müssen“, erläutert KZV-Sprecher Guido Reiter. Allein im Moment fehlten der AOK Baden-Württemberg 14 Millionen Euro. Jeder Praxisinhaber müsse jetzt entscheiden, was er macht. „Manch ein Zahnarzt wird Patienten auch für weniger Honorar als vertraglich vereinbart behandeln“, so Reiter. Andere würden nicht notwendige Behandlungen auf das nächste Jahr verschieben. Patienten von Ersatzkassen bekommen keine Probleme.  

 

In Bayern hat von den großen Kassen nur die AOK Probleme mit ihrem Budget. Ersatzkassen und Betriebskrankenkassen sind nicht betroffen. „Die Ärzte werden entscheiden müssen, ob eine Behandlung bei einem AOK-Patienten notwendig ist oder nicht“, sagt KZV-Sprecher Leo Hofmeier. Sei der Eingriff nicht dringend, werde der Arzt ihn auf das nächste Jahr verschieben. „In diesem Jahr fehlen bei der AOK Bayern rund 30 Millionen Euro“, beklagt Hofmeier. Die Leidtragenden seien nicht die Patienten, sondern die Zahnärzte. „Sie bekommen im schlimmsten Fall nur noch ein Drittel des Honorars von der AOK“, so Hofmeier.  

 

Hintergrund des Ärztestreiks sind die Honorarbudgets. Für jede Krankenkasse wurden in den neunziger Jahren die durchschnittlichen Behandlungskosten ermittelt. Der Wert dient als Basis für die Vergütung der Zahnärzte. Nun hat sich teilweise die Struktur der Versicherten geändert. Das gilt insbesondere für die AOK, für deren Mitglieder heute mehr und kostenintensive Zahnbehandlungen fällig werden. Ist der Etat aufgebraucht, arbeiten die Dentisten für den Rest des Jahres umsonst. Laut KZBV wurden 2008 bundesweit 1,7 Millionen Patienten ohne Vergütung behandelt. Das verloren gegangene Honorar beziffert der Verband auf fast 150 Millionen Euro. Ursprünglich wollte die schwarzgelbe Koalition die Budgetierung aufheben. Das ist aber bisher nicht geschehen. Auch deshalb hauen die Zahnärzte nun auf die Pauke.

 

Das Bundesgesundheitsministerium ist ebenso wie der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV) verärgert über die Haltung der Zahnärzte. „Alle Kassenzahnärzte sind verpflichtet, ihre Patientinnen und Patienten umfassend zu behandeln“, versicherte Gesundheitsstaatssekretär Daniel Bahr (FDP). Die Politiker rät, der Krankenkasse oder dem Sozialministerium verweigernde Ärzte zu nennen. „Es kann nicht sein, dass Zahnärzte ihre internen Verteilungsprobleme auf dem Rücken der Patienten austragen“, kritisiert Ann Marini vom  GKV-Spitzenverband. Die Versicherten hätten einen Anspruch auf alle medizinisch notwendigen Leistungen. AOK-Sprecher Udo Barske hält die Drohungen der Ärzteschaft für ein Mittel, politischen Druck für eine Reform des Vergütungssystems zu erzeugen. Es sei üblich, dass im November bereits Termine für den Januar vergeben werden. „Die Zahnärzte bohren wie zuvor“, betonte Barske.

 

 

 

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