Zu große Flexibilität kann krank machen
Studie: Häufig leidet die Seele, wenn Beschäftigte ständig für den Chef erreichbar sein müssen/ Auch lange Wege zur Arbeit sind oftmals nicht gut für die Psyche
16. Aug. 2012 –
Permanent erreichbar sein, Emails checken im Feierabend, ständig hin und her pendeln: Die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitswelt lässt immer mehr Beschäftigte an ihre psychischen Belastbarkeitsgrenzen stoßen. Das geht aus dem Fehlzeiten-Report 2012 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK hervor. Erschöpfung, Kopfschmerzen, Ruhelosigkeit in der Freizeit oder Niedergeschlagenheit sind die Folgen.
Wer Beruf und Freizeit immer wieder nicht vereinbaren kann, klagt der Studie zufolge über doppelt so viele Symptome wie der Durchschnitt. Auch wer immer wieder private Aktivitäten aufgrund beruflicher Belange verschiebt, an Sonn- und Feiertagen arbeitet oder viele Überstunden leistet, hat häufiger ein Seelenleiden. Ebenso hat Mobilität ihre Schattenseiten: Pendler großer Strecken haben ein um 20 Prozent höheres Risiko psychisch zu erkranken.
„Arbeitszeiten von neun Uhr morgens bis fünf Uhr nachmittags sind heute keine Selbstverständlichkeit mehr“, sagt Helmut Schröder, der Herausgeber des Reports. Mehr als jeder dritte Erwerbstätige erhalte Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeit oder leiste Überstunden. Auch Arbeit mit nach Hause zu nehmen oder an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten stelle kein Randphänomen mehr dar.
Einhergehend mit der zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt nimmt die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen laut der repräsentativen Untersuchung weiterhin stetig zu. Diese sind seit 1994 mehr oder weniger kontinuierlich um 120 Prozent gestiegen. Psychische Erkrankungen dauerten 2011 mit durchschnittlich 22,5 Tagen je Fall mehr als doppelt so lange wie andere Erkrankungen.
Immer häufiger lautet die Diagnose „Burnout“. Laut Report waren 2011 mehr als 130.000 Menschen der über 34 Millionen gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten in Deutschland wegen eines Burnouts krankgeschrieben. Betroffen waren insbesondere Erwerbstätige in sozialen Berufen. Zudem traf die Diagnose Frauen häufiger als Männer.
„Wir sind in einer ganz anderen Welt angekommen“, zieht Schröder Bilanz. Die Unternehmen fordert er nun auf, bessere Programme zum Gesundheitsschutz ihrer Mitarbeiter zu entwickeln. Nach den Erfolgen beim Unfallschutz, bei den Programmen zu Rückenschulen oder zur Stressbewältigung in der betrieblichen Prävention müssten künftig auch verstärkt flexible Mitarbeiter in den Fokus rücken.
„So wie wir den Umgang mit SMS, E-Mail, Twitter oder Facebook lernen, müssen wir auch lernen, wie wir in unserer Gesellschaft mit den Chancen und Risiken einer flexiblen Arbeitswelt umgehen“, fügt Uwe Deh, Geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbands an. Von starren und simplen Vorschriften hält er allerdings wenig. „Die Regel: ‚Handy aus ab 18 Uhr’ stößt bei global agierenden Unternehmen schnell an Grenzen.“ Und viele Schutzmaßnahmen, die in einem großen Konzern funktionierten, seine für Kleinbetriebe oder gar für Einzelkämpfer kaum umzusetzen.
Der Fehlzeiten-Report
Seit 1999 informiert der Fehlzeiten-Report jährlich über die Krankenstandsentwicklung in der deutschen Wirtschaft. Grundlage der Untersuchungen sind die Arbeitsunfähigkeitsmeldungen von 10,8 Millionen erwerbstätigen AOK-Mitgliedern.