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Finanzminister Scholz (SPD) plädiert für eine globale Mindeststeuer für Konzerne. Um das nicht zu gefährden, opfert er die europäische Google-Steuer. Ein guter Tausch?

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Von Hannes Koch

08. Mai. 2019 –

Weltpolitik wird gerade im Bundesfinanzministerium gemacht. SPD-Minister Olaf Scholz, seine Staatssekretäre und Abteilungsleiter hegen große Hoffnung. Sie glauben, ein internationales Steuerabkommen mit 129 Staaten zustande zu bringen. Es geht um eine Mindeststeuer für transnationale Konzerne. Kein Großunternehmen, egal ob aus den USA, China, Großbritannien oder Deutschland soll sich davor drücken können, einen angemessenen Teil seines Gewinns an die Regierungen und damit an die Bürgerinnen und Bürger abzugeben.

Sollte das gelingen, wäre es eine Premiere. Eine Utopie würde Wirklichkeit. Verbindliche, globale Regeln für Unternehmen? Jahrzehntelang schien das undenkbar. Seit der großen Finanzkrise ab 2009 verändert sich jedoch die Stimmung. Die Gruppe der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen, der Deutschland angehört, macht Druck. Die Industrieländer-Organisation OECD verhandelt. „Wir wollen verhindern, dass sich große, weltweit agierende Konzerne ihrer Steuerpflicht entziehen“, so Scholz. Am Mittwoch lud er seine EU-Kollegen nach Berlin ein und warb bei einem Symposium für das Vorhaben.

Fachleute der OECD haben mal ausgerechnet, um was es geht. Sie kamen auf gut 200 Milliarden Euro pro Jahr, die Konzerne den Regierung vorenthalten, in dem sie ihre Gewinne kleinrechnen, verstecken oder dort horten, wo die Steuern sehr niedrig sind. Dutzende Milliarden fehlen deshalb auch hierzulande, um Schulen zu bauen, Lehrer zu bezahlen und die öffentliche Infrastruktur in Ordnung zu halten.

Selbst harte Kritiker der herrschenden Finanzpolitik meinen jetzt: Da geht was. „Es ist ein großer Durchbruch, dass die internationalen Steuer-Regeln nun offen diskutiert werden“, sagt Alex Cobham von Netzwerk für Steuergerechtigkeit.

Klingt gut. Und ist doch seltsam. Denn Scholz´ Vorhaben hat einen doppelten Boden. Um das internationale Abkommen zu erreichen, verzichtet er auf die neue Umsatzsteuer für Digitalkonzerne wie Amazon, Apple, Facebook oder Google in Europa. Die will die EU-Kommission einführen. Auch Frankreich und Österreich plädieren dafür. Doch der deutsche Finanzminister hat sich quergestellt. Nun lautet die Frage: Ist das eine schlaue Strategie – internationale Mindeststeuer statt europäischer Google-Steuer? Warum macht Scholz das?

Lisa Paus, die finanzpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, ist argwöhnisch: „Eine internationale Mindestbesteuerung ist nur ein Puzzleteil für ein faires Steuersystem im digitalen Zeitalter. Ziel muss es sein, dass Konzerne wie Amazon genauso ihren fairen Beitrag leisten wie der Buchladen an der Ecke.“

Eines der größten Steuer-Problem ist heute dies: Gerade die Digitalkonzerne zahlen kaum Abgaben auf ihre horrenden Gewinne. Nach Angaben der EU-Kommission entrichten sie durchschnittlich 9,5 Prozent Unternehmenssteuern, während konventionelle Firmen in Europa 23,2 Prozent an die Allgemeinheit abtreten. Wenn Facebook, Google & Co. überhaupt Steuern zahlen, tun sie das im Wesentlichen zu Hause, in den USA.

Deswegen hat die EU-Kommission vor einem Jahr vorgeschlagen, eine zusätzliche Abgabe unter anderem auf Umsätze durch Internet-Werbung zu erheben, die für Europa geschaltet wird. Die Logik dahinter: Beispielsweise Google soll seine Gewinne und Umsätze nicht nur am Sitz des Unternehmens und am Ort seiner digitalen Produktion versteuern, sondern auch dort, wo die Einnahmen erwirtschaftet werden, also im jeweiligen Markt. Die EU-Kommission fordert eine gewisse geografische Verlagerung der Besteuerung und beansprucht damit einen zusätzlichen Teil der Google-Gewinne für Europa.

Finanzminister Scholz lehnt diesen Plan der Abgaben-Verschiebung vom Sitz- zum Marktland jedoch ab. Ihn und seine Fachleute treibt um, dass sich das Vorhaben zum Boomerang entwickeln könnte. Denn bei vielen großen deutschen Unternehmen ist es ähnlich wie bei Google und Facebook. Die Autokonzerne Daimler und BMW oder Chemiefirmen Bayer und BASF verkaufen rund um die Welt, versteuern ihre Einnahmen aber zum guten Teil am Konzernsitz in Deutschland. Kämen die Regierungen Chinas oder der USA nun auf die Idee, daran ebenfalls stärker partizipieren zu wollen, könnten den bundesdeutschen Finanzämtern Milliarden Euro verlorengehen. Und gerade angesichts des aktuellen Handelsstreits zwischen den USA und Europa findet das Bundesfinanzministerium die Ansage einer neuen Digitalsteuer für US-Konzerne gefährlich. Die Rache könnte auf dem Fuße folgen.

Die bessere Alternative sei deshalb die Mindeststeuer, glaubt man an der Spitze des Finanzministeriums. Alle 129 Staaten, die bei den OECD-Verhandlungen mitmischen, würden sich dabei auf eine Untergrenze für die Gewinnbesteuerung einigen, beispielsweise zehn Prozent. Sollte ein in Deutschland ansässiger Konzern für seine im Ausland erwirtschafteten Gewinne dort weniger als die Mindeststeuer entrichten, dürften hiesige Finanzämter einen Aufschlag bis zur Untergrenze verlangen. Alle Unternehmen würden dann wenigstens die Minimalabgabe leisten: immerhin etwas - und mehr als heute.

Scholz findet das gut, weil damit das Sitzland-Prinzip erhalten bliebe. Gewinne würden weiterhin da belastet, wo die Unternehmen ihre Zentralen haben, nicht wo die Märkte sind. Zweitens lässt die Untergrenze Spielraum für Steuer-Wettbewerb zwischen Staaten, den marktfreundliche Finanzpolitiker für wünschenswert halten, um die Regierungen bei ihren Einnahmen und Ausgaben zu disziplinieren. Und – ganz wichtig: Die US-Regierung unter Donald Trump hat eine Mindeststeuer für Unternehmen bereits eingeführt. Bei 13,1 Prozent liegt die Untergrenze dort nun. Deshalb wäre die größte Wirtschaftsnation der Welt mit an Bord, hofft der Bundesfinanzminister.

Bei der OECD in Paris ist die Gewichtung allerdings eine andere. „Derzeit sind für bestimmte Aspekte der Besteuerung Elemente beider Modelle im Verhandlungsprozess, sowohl die Anknüpfung an den Sitzstaat als auch an den Marktstaat“, erklärt OECD-Steuerexperte Achim Pross. Eventuell kommt im Herbst 2020, wenn die Verhandlungen beendet sein sollen, eine Kombination aus beidem heraus. Dann mag es auch sein, dass die Steuerzahlung von Unternehmen weltweit wieder etwas zunimmt.

Sollte sich dagegen Deutschland zusammen mit anderen Staaten durchsetzen, könnte der Trend zu sinkenden Firmen-Abgaben weitergehen. Zwar dürfte die Mindeststeuer einige Einnahmen erbringen. Andererseits erspart man den Firmen die zusätzliche Digitalsteuer. Parallel dazu senken Länder wie USA und Großbritannien ihre Steuersätze für Unternehmensgewinne. Wirtschaftspolitiker der Union fordern hierzulande ähnliches. Die Mindeststeuer bremst diese Talfahrt nicht. So dürfen die großen deutschen Exportunternehmen optimistisch in die Zukunft schauen. Und auch die US-Digitalkonzerne können sich freuen.

Was bei den komplizierten internationalen Verhandlungen herauskommt, steht jedoch in den Sternen – auch, ob sie überhaupt funktionieren. Frankreich und Österreich wollen die Digitalsteuer deshalb alleine einführen. „Minister Scholz hat Partner wie Frankreich regelrecht vor den Kopf gestoßen“, kritisiert Finanzpolitikerin Paus, „wir können nicht einfach weiter tatenlos zusehen, wie internationale Konzerne Staaten gegeneinander ausspielen.“

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