• Reiner Klingholz |Foto: privat
    Reiner Klingholz |Foto: privat

„Zuwanderung stärkt unsere Sozialsysteme“

Pro Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien argumentiert Bevölkerungsforscher Reiner Klingholz

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Von Hannes Koch

30. Dez. 2013 –

Hannes Koch: Ab Januar 2014 dürfen sich auch die Bürger Bulgariens und Rumäniens in jedem EU-Land niederlassen und dort arbeiten, Deutschland eingeschlossen. Die CSU warnt deshalb vor Bettlern und Sozialschmarotzern. Schadet oder nützt die neue Einwanderung Deutschland?

 

Reiner Klingholz: Die CSU sollte wissen, dass aus diesen beiden Ländern in der Vergangenheit überwiegend gut qualifizierte Menschen nach Deutschland gekommen sind - Ärzte, Ingenieure, Facharbeiter. Gerade das wirtschaftsstarke Land Bayern profitiert von diesen Arbeitskräften. Es ist nicht zu erwarten, dass sich diese Art von Zuwanderung vom 1. Januar an in eine reine Armutszuwanderung umkehrt.

 

Koch: Was halten Sie von der Befürchtung, dass zehntausende Einwanderer es sich hier auf Kosten des deutschen Sozialsystems bequem machen?

 

Klingholz: Unter den Zuwandernden sind immer auch Leute, die nicht für ihr eigenes Auskommen sorgen können. Das lässt sich nicht vermeiden. Für einige wenige Kommunen, etwa Offenbach, Berlin oder verschiedene Städte im Ruhrgebiet bedeutet das heute schon ein Problem. Die Regelung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit ab dem 1. Januar ist allerdings dafür gedacht, die Mobilität von Arbeitskräften innerhalb der EU zu erleichtern – nicht von Personen, die keine Arbeit suchen oder keine finden können. Wenn es dann zu einem Missbrauch der Regelung kommt, muss die EU dafür sorgen, dass Armutszuwanderung beschränkt wird. Das wäre möglich, indem man die Kosten für die soziale Absicherung von nicht Erwerbstätigen in den Herkunftsländern belässt, also den Zugang zu Sozialleistungen im Zielland erschwert.

 

Koch: Welche positiven Effekte hat es für den Staat und die öffentlichen Finanzen, wenn beispielsweise 100.000 Bulgaren und Rumänen sich pro Jahr zusätzlich in Deutschland als Bauarbeiter oder Putzkräfte verdingen?

 

Klingholz: Ich glaube nicht, dass so viele kommen werden. Aber wenn sie kämen, wäre es natürlich ein enormer Gewinn für die deutsche Staatskasse. Das wären ja 100.000 zusätzliche Steuer- und Sozialabgabenzahler, die darüber hinaus einen Teil ihrer Einkünfte in Deutschland wieder ausgeben und darauf Mehrwertsteuer zahlen.

 

Koch: Im Hinblick auf die Staatsfinanzen und Sozialsysteme – bringen die Einwanderer mehr Einnahmen, als sie an Ausgaben beanspruchen?

 

Klingholz: Prinzipiell ja. Alle klassischen Einwandernationen wie die USA oder Kanada belegen einen hohen volkswirtschaftlichen Gewinn von Migranten. Dies war auch zu Zeiten der Gastarbeiterwanderung in Deutschland der Fall. Als dann aber im Zuge von Strukturwandel und Wirtschaftskrise viele der gering qualifizierten Gastarbeiter ihren Job verloren, hat sich das Verhältnis vorübergehend umgekehrt. Mittlerweile dürften sich die Einwanderer wieder deutlich positiv auf die Volkswirtschaft auswirken. Wegen des demografischen Wandels wären viele der heimischen Branchen ohne Menschen aus anderen Ländern gar nicht mehr handlungsfähig. Zuwanderung stärkt also unsere Sozialsysteme.

 

Koch: Deutschland ist ein Hightech-Land. Die Unternehmen warnen vor einem Mangel an Ingenieuren, EDV-Spezialisten und Mathematikern. Ist es eine gute Idee, wenn durch die EU-Freizügigkeit eine große Zahl geringqualifizierter Arbeitskräfte kommt?

 

Klingholz: Die Hochqualifizierten aus den ost- und mitteleuropäischen Staaten sind im Zweifel heute schon hier. Deutschland braucht aber auch weniger gut qualifizierte Arbeitskräfte – im Pflegebereich, in der Bauindustrie, als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft. Ohne letztere gäbe es im nächsten Frühjahr vermutlich kaum einheimischen Spargel auf den Märkten.

 

Koch: Man hört jetzt Warnungen vor vermeintlich massenhaftem Zuzug aus Bulgarien und Rumänien. Mit wie vielen Einwanderern rechnen Sie?

 

Klingholz: Das ist schwer zu sagen. Die Zahl hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung nicht nur in Deutschland und den beiden osteuropäischen Staaten ab, sondern auch in Italien oder Spanien. Denn dies sind die Länder, in denen in der Vergangenheit weitaus mehr Bulgaren und Rumänen Arbeit gefunden haben als bei uns.

 

Koch: Trotz steigender Einwandererzahlen ist in den vergangenen Jahren die Arbeitslosigkeit in Deutschland gesunken. Wird dieser Trend anhalten?

 

Klingholz: In den kommenden Jahren werden sich aus demografischen Gründen deutlich mehr Menschen ins Rentenalter verabschieden, als Nachwuchs ins Erwerbsalter aufsteigt. Solange es nicht zu einer massiven Wirtschaftskrise kommt, werden also immer mehr der heute Arbeitslosen einen Job finden - und trotzdem sind noch Zuwanderer nötig, um den Bedarf der Unternehmen zu stillen.

 

Koch: Migranten sind Konkurrenten für einheimische Arbeitslose, die einen Job suchen. Wie kann man diesen Konflikt entschärfen?

 

Klingholz: Arbeitslosigkeit ist im Wesentlichen eine Frage der Qualifikation. Ein junger Einheimischer ohne Berufsausbildung kann nicht die freie Ingenieurstelle bei Siemens oder Airbus übernehmen. Diese Unternehmen haben ein Recht darauf, gute Mitarbeiter einzustellen. Wenn sie auf dem heimischen Arbeitsmarkt keine finden, müssen diese aus dem Ausland kommen. Junge Menschen in Deutschland müssen sich zudem um eine gute Ausbildung bemühen, die ist die beste Absicherung gegen Arbeitslosigkeit. Insofern belebt die Konkurrenz das Geschäft.

 

Bio-Kasten

Reiner Klingholz (60) leitet das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Er ist ausgebildeter Chemiker und Molekularbiologe.

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