Zweifel an neuen Stromtrassen wächst

Industrie in BaWü und Bayern kann kurzfristig auf neun Prozent ihrer Elektrizitätsnachfrage verzichten

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Von Hannes Koch

25. Apr. 2013 –

Ob man die neuen Stromtrassen, die der Bundestag am Donnerstag beschloss, wirklich braucht, ist nicht klar. Unternehmen in Baden-Württemberg und Bayern könnten ihre Stromnachfrage beispielsweise so gestalten, dass der Spitzenbedarf deutlich sinkt. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie, die die Umweltminister der beiden Südländer, Franz Untersteller (Grüne) und Marcel Huber (CSU), am Donnerstag in Stuttgart vorstellten.


Drei neue Höchstspannungsleitungen sollen dereinst die elektrische Energie der Windparks auf Nord- und Ostsee in die Industriegebiete Süddeutschlands leiten. Im Bundesbedarfsplan hat die Regierungskoalition nun die grundsätzlichen Korridore dafür festgelegt und die Möglichkeiten für ein bundeseinheitliches Planverfahren geschaffen.


Ob die schon jetzt umstrittenen neuen Leitungen allerdings irgendwann gebaut werden, zeigt erst die Zukunft. Denn die Regierung will den Bedarfsplan regelmäßig überarbeiten und, wenn nötig, angepassen. So kann es sein, dass 2017 beispielsweise nur eine der teilweise unterirdischen Höchstspannungsleitungen für Gleichstrom fertig ist, und der Bau der beiden anderen verschoben wird.


Über 200 Firmen, darunter neun Großunternehmen in Baden-Württemberg und Bayern haben die Gutachter im Auftrag der Umweltministerien und der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende befragt. Das Ergebnis: Für eine kurze Dauer von einer halben Stunde können die Unternehmen ihre Stromnachfrage um bis zu 1,2 Gigawatt (Milliarden Watt) reduzieren – knapp neun Prozent des Spitzenbedarfs der gesamten süddeutschen Industrie. Für zwei Stunden wären die Firmen in der Lage, auf bis 850 Megawatt zu verzichten (etwa sechs Prozent). Diese Leistung entspricht etwa der von zwei großen, konventionellen Kraftwerken.


Vorübergehendes Abschaltpotenzial sehen die Gutachter unter anderem im Maschinen- und Fahrzeugbau, dort besonders bei der Belüftung der Produktionshallen. Strom lasse sich beispielsweise sparen, indem die Geschwindigkeit der Luftzirkulation reduziert werde. Angeblich habe das aber keine Auswirkungen auf die Versorgung der Beschäftigten mit Frischluft. Auch die Papierindustrie könne ihren Strombedarf einfach verschieben oder verringern, indem etwa die Holzverarbeitung kurzfristig unterbrochen werde.


Diese Nachfrageflexibilität ist aber bislang nur eine theoretische. Denn auf dem gegenwärtigen Strommarkt bekommen die Unternehmen keine Anreize, sich entsprechend zu verhalten. Lars Waldmann von Agora Energiewende erklärt, dass man einen neuen Marktmechanismus erfinden müsste. Beispielsweise Porsche würde dann an der Strombörse in Leipzig nicht nur Strommengen kaufen, sondern Einsparkapazität anbieten. Die Stromlieferanten, die die Elektrizitätsversorgung sicherstellen, könnten die Dienstleistung „weniger Stromnachfrage“ von Porsche erwerben.


Weil der Konzern so Geld verdient, bekommt er einen Anreiz, seine Nachfrage tatsächlich zu verringern. Auch der Stromlieferant hätte möglicherweise einen Vorteil, weil er kein teures Reservekraftwerk hochfahren müsste. Interessant wird dieser Mechanismus für die Industrie, wenn der zusätzliche Erlös etwa fünf Prozent ihrer Stromkosten ausmacht, ergab die Studie.


Dies sind weitere Argumente in der aktuellen Debatte über die Notwendigkeit der großen Zahl von Windparks, die die Bundesregierung auf Nord- und Ostsee realisiert sehen möchte. Nach früherer Euphorie dreht sich hier die Stimmung. Gerade haben Bund, Länder und Gemeinden die neue Fachagentur zur Förderung der Windenergie an Land gegründet. Mehr Windräder in Süddeutschland bedeuten möglicherweise weniger Windräder auf dem Meer. SPD-Politiker Jörg Kuhbier, Vorsitzender der Stiftung Offshore-Windenergie, sagte unlängst, dass das offizielle Ausbauziel der Bundesregierung von 10.000 Megawatt Windkraft auf dem Meer bis 2020 nicht mehr erreichbar sei. Dafür geht der Ausbau zu schleppend voran. Und wozu drei Stromtrassen, wenn ihnen der Strom fehlt?

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