Zwiespältige Zukunft für Tengelmann-Personal

Edeka will die Supermärkte von Kaiser's Tengelmann übernehmen. Gewerkschaft kritisiert Edeka-Schikanen gegenüber Beschäftigten und Betriebsräten

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Von Hannes Koch

24. Nov. 2014 –

Der Streit im Edeka-Center in dem kleinen Ort nördlich von Hannover ist vorläufig beigelegt. Die Inhaberin des Lebensmittelmarktes willigte ein, für die kommenden drei Jahre tarifliche Löhne zu garantieren. Vorher bekamen neueingestellte Arbeitskräfte teilweise nur neun Euro brutto statt der 14,50 Euro, die im Tarifvertrag des niedersächsischen Einzelhandels festgelegt sind. Für Aushilfen hat die Vereinbarung zwischen Firmenleitung und Betriebsrat allerdings eine Schattenseite: Sie sollen nur Mindestlohn erhalten. Deshalb sagt Robert Kirschner, Sekretär der Gewerkschaft Verdi: „Wir haben erst ein Etappenziel erreicht, denn wir wollen eine tarifliche Regelung für alle.“

 

Derartige Konflikte spielen nicht nur eine Rolle für Edeka. Auch für die Beschäftigten von Kaiser's Tengelmann könnten sie bald eine Bedeutung bekommen. Denn Karl-Erivan Haub, der Eigentümer dieser Einzelhandelskette, will seine rund 450 Märkte in Nordrhein-Westfalen, Bayern und Berlin mit etwa 16.000 Arbeitskräften an Edeka verkaufen. Allerdings muss das Bundeskartellamt noch zustimmen (siehe Kasten).

 

Theoretisch brauchen sich die Tengelmann-Beschäftigten keine Sorgen zu machen. „Edeka steht für generationenübergreifenden, nachhaltigen und ökonomisch verantwortungsvollen Handel“, schreibt die Zentrale in Hamburg. Ein fairer Umgang mit den Beschäftigten gehöre zum Geschäftsmodell, das auf den solidarischen Prinzipien des Genossenschaftswesens beruhe.

 

Praktisch jedoch kommt es bei Edeka seit Jahren zu Spannungen zwischen dem Unternehmen und den Beschäftigten. Die Ursache liegt in der Doppelstruktur der Konzerns. Einerseits existieren konzerngesteuerte Geschäftsbereiche und Lebensmittelmärkte, für die Tarifverträge gelten. Zweitens überträgt der Edeka-Verbund regelmäßig Geschäfte an selbstständige Einzelhändler, die dann nicht selten versuchen, den tariflichen Regeln zu entkommen und die Kosten zu drücken.

 

Genau das könnte auch dem Tengelmann-Personal blühen. Denn Edeka hat bereits angekündigt: „Ziel ist es, die Standorte nach und nach an selbstständige Kaufleute zu übergeben.“ Der Konzern „stiehlt sich aus seiner Personalverantwortung“, kritisiert Verdi-Mitarbeiter Kirschner.

 

Als Beispiel führt er die untertariflichen Arbeitsverträge für neue Beschäftigte in dem Edeka-Markt bei Hannover an. Die Gewerkschaft, die seit Jahren eine breite Kampagne zu Edeka organisiert, nennt viele weitere Probleme, die im Zuge der Auslagerung von Filialen aufträten. Bundesweit würden rund 129.000 von insgesamt 328.000 Beschäftigten des Konzerns nicht nach Tarif bezahlt. Viele von ihnen hätten keinen Betriebsrat. Neben Löhnen „im sittenwidrigen Bereich“ geht es um die Überwachung der Mitarbeiter mit Kameras oder das Verbot, in der Firma über gewerkschaftliche Aktivitäten zu informieren.

 

Edeka-Sprecher Gernot Kasel betont dagegen: „Viele Einzelhandelsunternehmen sind aufgrund des selbstständigen Betriebs nicht tarifgebunden, orientieren sich aber an den branchenüblichen Löhnen oder gehen noch über diese hinaus.“ Er verweist auf eine Studie des Berliner Wabe-Instituts für Wirtschaftsforschung, die die gewerkschaftlich orientierte Hans-Böckler-Stiftung im Juli 2014 veröffentlichte. Darin geht es um die Entwicklung von sechs Edeka-Märkten in Ostwestfalen und Berlin im ersten Jahr nach der Übertragung. Edeka stellt die Ergebnisse positiv dar: So seien die Umsätze und Zahlen der Arbeitsplätze gestiegen, während Betriebsvereinbarungen, Arbeitsverträge, tarifliche Leistungen und Mitbestimmung erhalten blieben. Wobei die Wabe-Forscher auch zu einigen problematischen Ergebnissen kamen. Denn in der Mehrheit der Betriebe sank der Anteil der festangestellten Beschäftigten an der Belegschaft, während der Anteil der Aushilfen zunahm.

 

Auch deshalb warnt Verdi-Sekretär Kirschner davor, die positiven Ergebnisse der Wabe-Studie zu verallgemeinern: „Sie präsentiert nur wenige Beispiele. Diese zeigen nicht, wie die Privatisierungen in der Mehrheit der Fälle ablaufen. Unsere Erfahrungen mit vielen Edeka-Märkten stimmen mit wesentlichen Ergebnissen der Studie nicht überein.“

 

 

Info-Kasten

Edeka

Der Konzern ist Branchenprimus des deutschen Lebensmittel-Einzelhandels. Sein Umsatz 2013 betrug gut 46 Milliarden Euro. Edeka betont den genossenschaftlichen Charakter, den die rund 4.000 selbstständigen Inhaber der Supermärkte prägten. Historisch leitet sich der Name aus den Anfangsbuchstaben der „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler“ (EdK) her, die 1898 in Berlin gegründet wurde.

 

Zum Unternehmen gehört heute auch die Discountkette Netto. Edeka, Rewe, Lidl, Aldi und Metro beherrschen etwa 80 Prozent des deutschen Lebensmittelhandels. Die Macht der Großen, anderen Firmen Preise und Bedingungen zu diktieren, ist erheblich. Das ist ein wichtiges Argument, wenn das Bundeskartellamt bewertet, ob Edeka die 450 Tengelmann-Märkte schlucken darf.

 

Die Warnungen vor der Übernahme haben inzwischen Kreise gezogen. Edeka-Konkurrent Rewe kündigt juristische Schritte an. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) sagte: „Die Konzentration im Lebensmittel-Einzelhandel ist ohnehin schon sehr groß.“ Und die Entwicklungsorganisation Oxfam warnt vor den nachteiligen Folgen für die Produzenten in den Entwicklungsländern, die sich gegen die Marktmacht der großen Lebensmittelhändler nicht wehren könnten.

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