Zwischen Notmaßnahme und Rechtsbruch
EZB-Chef Draghi erwägt erneut den Kauf von Staatsanleihen. Schutz des Euro oder Inflationspolitik?
05. Sep. 2012 –
Europa steht vor einer zentralen Entscheidung angesichts der Euro-Krise. Was darf die Europäische Zentralbank? Diese Frage beantwortet EZB-Präsident Mario Draghi nach der Sitzung des Zentralbank-Rates am Donnerstag auf seine Art. Vermutlich gibt er einige Details über neue Anleihekäufe bekannt, mit denen er den Euro stabilisieren will. Klar ist schon jetzt: Bundesbank-Chef Jens Weidmann und zahlreiche deutsche Politiker betrachten Draghis Aktion mit großer Skepsis. Unsere Zeitung analysiert die wichtigsten Pro- und Contra-Argumente.
Die Währung schützen
Jörg Asmussen, der Deutschland im EZB-Direktorium vertritt, hat die Lage unlängst so beschrieben: Es gehe jetzt nicht mehr nur um Hilfen für einzelne verschuldete Euro-Staaten, sondern um die Existenz der gemeinsamen Währung. Die hohen Zinsen für Euro-Staatsanleihen vornehmlich aus Spanien und Italien verhindern demnach, dass die Zentralbank ihre geldpolitischen Aufgaben wahrnehmen kann. Beispielsweise habe die letzte Senkung des EZB-Leitzinses kaum positive Wirkung für die europäische Wirtschaft erzielt. Die Rezession greife trotzdem um sich, die Euro-Zone drohe auseinanderzubrechen. In dieser Sichtweise muss die Zentralbank jetzt Staatsanleihen von Krisenstaaten kaufen, um die Wirksamkeit ihrer geldpolitischen Instrumente wiederherzustellen und so das Funktionieren der gemeinsamen Währung zu gewährleisten.
Staatsanleihen kaufen
Wenn die EZB Staatsanleihen Spaniens und Italiens erwirbt, drückt sie damit die Zinsen für diese Schuldscheine. Die Zentralbank ermöglicht den Regierungen, sich billiger zu verschulden. Gleichzeitig verhindert die EZB, dass verschuldete Staaten zahlungsunfähig werden. Madrid und Rom gewinnen mehr Zeit, um ihre Spar- und Reformprogramme durchzuführen. Draghis Hoffnung: Die Länder stabilisieren sich und die Zweifel der internationalen Investoren am Euro insgesamt lassen nach. Fraglich ist bislang, wie die Anleihekäufe ablaufen. Wenn die EZB die Papiere der betreffenden Staaten direkt kauft, ist die entlastende Wirkung möglicherweise größer als beim Erwerb der Anleihen auf dem Sekundärmarkt der Banken und Investoren.
Verstoß gegen EU-Verträge
Bundesbankpräsident Jens Weidmann und teilweise auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble argumentieren, dass die EZB Anleihen kriselnder Staaten gar nicht kaufen darf. Schließlich untersagten die EU-Verträge der Notenbank, Regierungen bei ihrer Finanzierung zu helfen. Das Mandat der EZB besteht demnach ausschließlich darin, die Geldwertstabilität des Euro zu sichern. Draghis Gegenargument könnte so aussehen: Wir kaufen nur kurzfristige Anleihen, die beispielsweise zwei Jahre laufen. Das ist eine Notmaßnahme, die den Euro über die Krise rettet, keinesfalls aber eine langfristige Staatsfinanzierung. Davon könne man erst sprechen, wenn die EZB langlaufende, zehnjährige Anleihen erwerbe. Außerdem verbieten die EU-Verträge nur den direkten Erwerb, heißt es bei der EZB, nicht aber die Intervention auf dem Sekundärmarkt.
Warnung vor Inflation
Gegen Draghi erinnert Weidmann an die „zweistelligen Inflationsraten“ der 1970er Jahre. Damals stellten die nationalen europäischen Notenbanken Unternehmen und Bürgern so viel frisches Geld zur Verfügung, dass die Preise stark stiegen, warnt der Bundesbank-Präsident. Mit ihren beabsichtigten Anleihekäufen verhalte sich die EZB nun ähnlich, so Weidmann. Darüber, ob diese These heute zutrifft, ist die Fachwelt gespalten. Etwa Holger Schmieding, Chefökonom der Hamburger Privatbank Berenberg, sieht kurz- und mittelfristig keine Inflationsgefahr. In Europa würden die Staaten stark sparen, die Löhne stiegen kaum und die Firmen produzierten weniger als sie könnten – folglich bestehe kein Preisdruck, so Schmieding.
Der Spardruck sinkt
Wenn die EZB Italien und Spanien Anleihen billig abkauft, sinkt dadurch der Druck, die Staatsfinanzen zu sanieren, argumentiert die Bundesbank weiterhin. Die Aktion der Zentralbank bewirke also das Gegenteil des Gewünschten. Draghis Gegenargument: Wir kaufen Anleihen nur von den Staaten, die sich den Auflagen des Europäischen Stabilisierungsfonds (ESM) beugen, also weiter sparen.